Tage Alter Musik – Programmheft 2016

46 T Age A LTeR M USIK R egeNSBURg Mai 2016 wird auch von den gattungen her seine Stellung zwischen Barock und Klassik deutlich. Freilich liegt das Schaffen Philipp emanuel Bachs nicht in einem Tal zwischen zwei gebirgen; es bildet vielmehr einen wunderbaren Regenbogen, der Berg und Tal überspannt. Die h-Moll-Sinfonie Wq 182,5 gehört zur gruppe der Hamburger Streichersin- fonien. Von der Besetzung her nicht so differenziert wie die Orchestersinfonien – sie kommen mit einem orchestral besetzten Streichquartett aus –, sind sie doch imDuktus ihren jüngeren geschwistern ähnlich. entstanden sind sie imAuftrag des aus der Biographie Haydns und Mozarts bekannten Barons van Swieten, der einem überlieferten Zeugnis zufolge Bach gebeten hat, ohne Rücksicht auf die Spieler ganz seinen kompositorischen Vorstellungen zu folgen. Die drei Teile der Sinfonie schmiegen sich eng aneinander: Der rhythmisch hochdifferenzierte Kopfsatz, der fast durchweg als Dialog zwischen Stimmpaaren gestaltet ist, geht nahtlos in ein kantables Larghetto über, das mit einem Halbschluss endet, an den sich das extrem kraftvolle Schluss-Presto anschließt, in demdie rhythmische Verve des Anfangs gebrochen wird durch eine äußerst kühne Passage, in der sich die Stimmen in langen Notenwerten zu dissonanten Tonkomplexen sum- mieren, nach denen das Wiedereinsetzen rhythmischen Lebens geradezu als Befreiung empfunden wird. (Dieser ungemein lange Satz bildet die Struktur einer Bachschen Symphonie ein wenig nach.) Das ganze dauert kaum 11 Minu- ten; was Bach in dieser kurzen Zeit mit dem geringstmöglichen Orchesterauf- wand leistet, grenzt an ein Wunder. Das früheste Werk des Programms hat Bach 1749 komponiert und 1751 zusam- men mit einer Triosonate in B-Dur in Nürnberg drucken lassen. Die B-Dur- Sonate (für Flöte, Violine und generalbass) ist hübsch, aber „normal“; ihre Rezep- tion leidet darunter, dass ihre Schwester, die c-Moll-Sonate (Wq 161,1), eineArt Wunderkind ist. Die c-Moll-Sonate führt nämlich in drei Sätzen mit zwei Violi- nen und generalbass einen Dialog zwischen einem „Melancholicus“ und einem „Sanguineus“ vor, worin man unschwer zwei der vier Temperamente gemäß der Lehre galens und seiner Adepten erkennt, zu denen noch der Phlegmatiker und der Choleriker gehören würden, die aber musikalisch sozusagen unter die von Bach gewählten Charaktere subsumierbar wären. Der Melancholiker – trau- rig, antriebsarm, pessimistisch – eröffnet den ersten Satz mit einem langsamen Thema, gespielt mit Dämpfer, in c-Moll, sekundiert nur vom generalbass, der in dem Stück beide Dialogpartner gleichermaßen begleitet, ohne Partei zu ergrei- fen. Die Passage endet mit einer „Frage“: die Quartendissonanz löst sich nicht kunstgerecht in die Terz auf, sondern geht aufwärts in die Quint. Daraufhin ergreift der blutvolle Sanguineus das Wort – heiter, zupackend, optimistisch – und spielt im Presto ohne Dämpfer einige Takte lang in es-Dur, bevor der Trüb- sinnige ihn unterbricht. Darf manMusik so erzählen? Sicher nicht immer, aber hier geht es nicht anders, denn der Komponist selbst hat die erzählung vorgegeben, und zwar so, dass alle Phrasen der Partner in der Partitur von Satz 1 und 2 mit Indexbuchstaben von a bis z und dann weiter von aa bis rr bezeichnet sind, denen dann immer eine verbale Anmerkung entspricht, die die Stationen des Dialogs präzisiert. Bach schreibt im „Vorbericht“ der Ausgabe: „In dem ersten Trio hat man versu- chet, durch Instrumente etwas, so viel als möglich ist, auszudrücken, wozu man sonst viel bequemer die Singstimme und Worte brauchet. es soll gleichsam ein gespräch zwischen einem Sanguineus undMelancholicus vorstellen, welche in dem ganzen ersten, und bis nahe ans ende des zweyten Satzes, mit einander streiten, und sich bemühen, einer den andern auf seine Seite zu ziehen; bis sie sich am ende des zweyten Satzes vergleichen, indem der Melancholicus endlich nachgiebt, und des andern seinen Hauptsatz annimmt.“ Im Hintergrund dieses experiments – etwas anderes ist es nicht – steht eine Pulcinella Orchestra, Aufnahmesitzung

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