Tage Alter Musik – Programmheft 2016

55 T Age A LTeR M USIK R egeNSBURg Mai 2016 nehme Harmonie“ bezeichnet. Recht schnell wurde unter „Harmonie“ dann gemeinhin ein Bläserensemble verstanden und nicht, wie vielleicht naheliegend wäre, ein satztechnischer oder klangästhetischer Terminus. Wann und warum genau dieser Übergang vollzogen wurde, kann die For- schung bis heute nicht zweifelsfrei erklären. gesichert ist jedoch das Zen- trum der Harmoniemusik, das sowohl in kompositorischer als auch in auf- führungspraktischer Hinsicht zumindest seit 1770 in Wien zu suchen ist. 1782 mit der gründung der „Kaiserlichen Harmonie“ avancierte die Beset- zung mit je zwei Oboen, Klarinetten, Hörnern und Fagotten zum Standard, wie er auch zwanzig Jahre später von Heinrich Christoph Koch in seinem musikalischen Lexikon definiert wurde. Nichtsdestotrotz gibt es eine Viel- zahl von Ausnahmen, so dass die erscheinungsformen der „Harmonie- musik“ nicht zu eng gefasst werden sollten. In den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts geht die Harmoniemusik schließlich völlig in der Militärmusik auf, die ja gerne auch als „Feldmusik“, also Musik unter freiemHimmel, bezeichnet wird. Davon abzugrenzen ist die Janitscharen- oder türkische Musik, die in jedem Fall Schlaginstrumente enthält. Beispiele für letztere sind zwei Stücke von Michael Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart. Die entstehung von Mozarts Die Entführung aus dem Serail ab Juli 1781 bis zur Uraufführung im darauffolgenden Jahr fällt zusammen mit der ausufernden Wiener Begeisterung für „Türkenmode“ in der Musik, die auf die Vertreibung der Osmanen aus Österreich zurück- geht. Die äußert kurze Marcia zu Beginn des sechsten Auftritts mutet auch deshalb türkisch an, da Mozart nur hier gebrauch macht von einer „deut- schen“ und einer „türkischen Trommel“. Mozarts Briefwechsel mit seinem Vater Leopold deutet darauf hin, dass er für diese Marcia auf ein bereits komponiertes Werk zurückgriff. Um welches Werk es sich dabei handeln könnte, ist bis heute unklar. Außerdem fügte Mozart diesen Satz vermut- lich erst hinzu, als die Proben für die Premiere der Entführung bereits begonnen hatten. In der Marcia turchese verzichtet Michael Haydn – ganz anders als Mozart – zwar auf jeglichen punktierten Rhythmus, wählt für das Werk aber ebenfalls die übliche zweiteilige Form. Das ensemble Zefiro führt diese beiden Werke in gleicher Besetzung auf – vielleicht in Anleh- nung an den geschichtlichen Zusammenhang beider Märsche, denn Haydn komponierte seinen Marsch für eine Aufführung der Entführung in Salz- burg im Jahr 1795 und ersetzte den Mozartschen Satz. Michaels älterer Bruder Joseph Haydn leistete mit seinen Divertimenti, „Feld- Parthien“ und Märschen ebenfalls mehrere Beiträge zur Harmoniemusik. Relativ ungewöhnlich erscheint auf den ersten Blick daher, ausgerechnet ein Stück aus seinemOratorium Die Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze (Hob.XX/2) in das Programm aufzunehmen. Doch Haydn hat dieses Stück eigens für die Oratorienfassung des Werks von 1796 komponiert und ver- wendete für diesen Satz ausschließlich Blasinstrumente, die es gewisserma- ßen als Harmoniemusik „qualifizieren“. Haydn spinnt hier die letztenWorte des vorangehenden vierten Satzes („allhier und dort in ewigkeit“) weiter und versinnbildlicht die „ewigkeit“ beispielsweise durch die zwei eingangs lang gehaltenen Mollakkorde, die in einer Dur-Terz aufgelöst werden. Die dynamisch differenzierte Ausarbeitung dieser eingangstakte greift Haydn im Verlauf der Introduktion einige Male auf. Mehr auf Harmoniemusik als auf türkische Musik weist die Sinfonia aus gioacchino Rossinis Opera buffa Il Turco in Italia , die, abgesehen vom gro- ßen Schlagwerk, keine musikalischen elemente türkischer Musik beinhal- tet. Ursprünglich komponiert für das übliche Opernorchester, hat giorgio Mandolesi, Fagottist des ensembles Zefiro, die Sinfonia für Bläserensemble arrangiert. er folgt damit einer gängigen Methode aus dem späten 18. und 19. Jahrhundert, für die zum Beispiel der Klarinettist der Liechtensteiner Harmonie Wenzel Sedlak (1776-1851) sehr bekannt war: Da mit demAuf- kommen von Harmoniemusiken kaum Werke für Bläsersätze vorlagen, wurden neben Neukompositionen verstärkt Opernsätze und auch ganze Opern „in Harmonie gesetzt“ (Mozart tat das bei seiner Entführung aus dem Serail sogar selbst). gaetano Donizettis Beitrag zur Harmoniemusik findet sich nicht in seinem Meisterfach, der Oper, sondern in seiner sehr frühen Komposition Sinfonia Alfredo Bernardini

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