Tage Alter Musik – Programmheft 2016

66 T Age A LTeR M USIK R egeNSBURg Mai 2016 nisten: Linley, der im selben Jahr wie WolfgangAmadeus Mozart das Licht der Welt erblickte, starb im Alter von nur 22 Jahren. Als der aus einer Musikerfamilie stammende Linley bei einem tragischen Schiffsunfall ums Leben kam, war man sich einig, dass england einen bedeutenden und viel- versprechenden Komponisten verloren hatte. Ähnlich wie sein österreichischer Kollege stellte Linley bereits in jungen Jahren sein musikalisches Talent unter Beweis. Als er 1768 zum Studieren für drei Jahre nach Florenz zog, kam es imApril 1770 sogar zu einer Begeg- nung mit Mozart, von dem dessen Vater Leopold in einem Brief an seine Frau berichtet. In Italien traf Linley darüber hinaus den englischen Musik- historiker Charles Burney (1726-1814), der die glückliche Begegnung der beiden damals vierzehnjährigenAusnahmetalente in seinem An Eighteenth- Century Musical Tour in France and Italy folgendermaßen kommentierte: „The ‚Tommasino‘, as he is called, and the little Mozart, are talked of all over Italy, as the most promising geniuses of this age“. Nach seiner Rück- kehr aus Italien war Linley vor allem in seinem geburtsort Bath und im Londoner Theatre Royal als Musiker tätig. Linleys Œuvre, von dem nur ein Bruchteil überliefert ist, umfasst sowohl Instrumental- als auch Vokalmusik: seine Violinsonaten, Konzerte sowie ein Oratorium The Song of Moses sind hauptsächlich in handschriftlicher Form erhalten; gemeinsam mit seinem Vater komponierte er die Musik für die Oper The Duenna nach einem Libretto von Richard Brinsley Sheri- dan (1751-1816). Nach Linleys Tod wurde ein großteil seiner Vokalmusik (Lieder, Madrigale, usw.) postum veröffentlicht. 1776, im Alter von zwanzig Jahren, schuf Linley die Ode on the Spirits of Shakespeare nach einem Text von French Laurence (1757–1809). Das Projekt muss in direktem Zusammenhang mit dem Shakespeare-Jubiläum im Jahr 1769, an dem der berühmte Schauspieler David garrick (1717–1779) maß- geblich beteiligt war, verstanden werden. Denn obwohl das Interesse an dem „Bard of Avon“ in england nie verloren ging, entstand um die Mitte des 18. Jahrhunderts eine neue Beschäftigung mit seinen Werken, wobei insbesondere Shakespeares Darstellung der Natur und des Übernatür- lichen den damaligen Künstlern neue Impulse gab. Diese Faszination durchdringt auch Laurences Text, dessen vollständiger Titel A Lyric Ode on the fairies, aerial beings, and witches of Shakespeare eben- diese übernatürlichen Wesen nennt, die in vielen von Shakespeares Thea- terstücken die Bühne bevölkern. Die Protagonisten in diesem Text sind die unterschiedlichsten geister, die einige von Shakespeares berühmtesten Theaterstücken in erinnerung rufen. Während im ersten Teil gutartige geister („fairies and aerial beings“) die märchenhafte Welt von AMidsum- mer Night’s Dream evozieren, ändert sich die Stimmung im zweiten Teil abrupt: hier wird ein makabres Bild geschildert, das an die gräueltaten aus der Tragödie Macbeth erinnert. Am ende wird der Wunsch geäußert, england möge einen neuen Shakespeare hervorbringen. Linley übernimmt diese Zweiteilung und unterstreicht die unterschied- lichen Stimmungen mit musikalischen Mitteln. Dabei werden die Solisten (zwei Soprane und Bass), der Chor und die instrumentale Besetzung (Strei- cher, Flöten, Oboen, Fagotte, Hörner, Trompeten, Pauken und Cembalo) gekonnt eingesetzt. Insgesamt besticht die Komposition durch eine große stilistische Vielfalt, bei der die einflüsse von Linleys Vorgängern und Zeit- genossen unüberhörbar sind. Nach der Ouverture, in der man den Stil seines Lehrers William Boyce (1711–1779) erkennt, eröffnet der erste Teil mit einem feierlichen Chor, „O guardian of that sacred land“, der weitgehend homophon gestaltet ist. generell macht sich in den Chören der einfluss Henry Purcells (1659–1695) und – insbesondere in den Fugenteilen – georg Friedrich Händels (1685- 1759) bemerkbar. Zwischen den Chören platziert Linley eine Reihe von Rezitativen und Arien für Sopranstimme. Die erste Arie, „Come then, o Fancy“, wagt sich trotz des lebhaften Charakters kurzzeitig immer wieder in Moll-Bereiche, wobei die Solistin in der ersten geige einen Dialogpartner findet. Der Chor „Be Shakespeare born“, der auch kurze solistische Abschnitte enthält, greift die Melodie der vorhergehendenArie „And now is come the fated hour“ auf. entzückend ist die Arie „There in old Arden‘s inmost shade“ im Stil Johann Christian Bachs (1735–1782). Thomas Linley

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