Tage Alter Musik – Programmheft 2017

21 T age a LTeR M USIK R egenSBURg Juni 2017 bis im 20. Jahrhundert die naturtrompeten von den Ventiltrompeten und die Schalmeien von den Saxofonen ersetzt wurden. Der Klang dieser Blas- kapellen aus dem nördlichen Teil des osmanischen Reiches, dem Balkan, ist heutzutage in der ganzen Welt bekannt und war die Inspiration für die- ses arrangement. 15. La tierche estampie royale anonym, Frankreich, 13. Jh., Paris, Bibliothèque nationale fr. 844, arr. Bän- fer/Bergmann Der Musiktheoretiker Johannes de grocheio lebte um 1300 in Paris und beschrieb die estampie als kompliziertes Musikstück, dessen aufbau die ganze Konzentration von Musikern und Zuhörern verlange und ihren geist so zu fesseln vermag, dass sie aufhörten, an geld zu denken und auch keine unkeuschen gedanken mehr hegten. Diese in Frankreich frü- heste notierte Instrumentalmusik zeichnet sich durch ihren psychedeli- schen Charakter aus. Das grundanliegen unseres arrangements war für Thomas Bergmann (gitarre), den meditativen aspekt dieser wunderschö- nen Melodie hervorzuheben. Durch das Rhythmisieren des Borduns ver- suchte er zugleich das tänzerische Moment der estampie zu unterstreichen und gab ihr als Basis den minimalistischen, bassbetonten grundrhythmus, wie er typisch für die Techno-Beats der späten 80er Jahre war. Die moder- nere Harmonik in der Begleitgitarre verbindet er durch das einflechten des Borduns in die akkorde der gitarre mit der Klangvorstellung mittel- alterlicher Musik. Dadurch entsteht der eindruck, dass die Weise nie zu ende gehen wird und sich in der Unendlichkeit verliert. 16. Ce jour de l‘an guillaume Du Fay (ca.1400-1474), oxford, Bodleian Library, Canonici Misc. 213, arr. Bänfer/Bergmann auf der Suche nach originalmusik für die alten Blasinstrumente wurden wir auf dieses Stück aufmerksam, weil es den neujahrstag besingt. Den Stadtpfeifern war es im Mittelalter erlaubt, am neujahrstag von Haus zu Haus zu ziehen, um den Stadtbewohnern ihre Musik darzubieten, was diese mit Spenden in Form von essen, geld, Wachs oder Wollstoffen hono- rierten. Die Instrumentalversion dieses Chansons ist in der Standardbläs- erbesetzung seiner Zeit gut spielbar und klingt sehr überzeugend. Unser arrangement beginnt mit dem alten Klang von Schalmei und Pommer; die Zugtrompete bringt mit dem Contratenor die dritte Dimension in die Musik. gesine Bänfers ausgangsidee war ein Shuffle-Beat im Stil des Folk- rocks der 70er Jahre. Thomas Bergmann hat dazu eine Möglichkeit gesucht, die Begleitung rhythmisch komplexer, ansatzweise eigenständig, zu arran- gieren. Die Tuba findet einen individuellen Weg durch den polyphonen Satz und die gitarre sucht sowohl in den Harmonien als auch in der teil- weise synkopischen Rhythmisierung ihren Platz gegenüber der original- komposition, ohne dieselbe zu stören. Mike Schweizer, mit seiner Liebe zur musikalischen anarchie, setzte sich letztendlich spontan über harmo- nische Tonalität, Rhythmus und Wohlklänge hinweg und transportierte Ce jour de l‘an in die Jazzclubs des ausgehenden 20. Jahrhunderts. 17. Das nachthorn Mönch von Salzburg (fl. ca. 1400) Wien, österr. nationalbibliothek, Cod. 2856, arr. Harrison Der geheimnisvolle Dichter-Komponist des 14. Jahrhunderts, der sich „Der Mönch“ nannte, hat über 100 Lieder komponiert, von denen vier die namen von Instrumenten in ihrem Titel und den Untertitel „gut zu blasen“ tragen. Ihr polyphoner Stil ist ganz anders als die der meisten überlieferten Kompositionen dieser Zeit, da sie elemente einer verloren geglaubten Blä- sermusik bewahren. Das nachthorn ist eines von ihnen. Ian Harrison kom- ponierte zunächst einen Contrate- nor zu den beiden erhaltenen Stim- men, der den typisch mittelalter- lichen glanz ausmacht, und rich- tete das ganze für Schalmei, Pom- mer und Zugtrompete ein. Der Ser- pent wurde später eingefügt. Das Hinzufügen von Stimmen mehrere Jahrzehnte nach der entstehung einer Komposition ist sehr authen- tisch. © Gesine Bänfer & Ian Harrison Minoritenkirche, Les haulz et les bas, 2013 Foto: Hanno Meier CD: ars supernova

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