Tage Alter Musik – Programmheft 2017

Von nun an, am ende des 18. Jahrhunderts, unterstützten nach dem Vor- bild der Fürsten auch die kleinsten Städte organisten, Kantoren sowie Chorleiter und übernahmen (in den Chorknabenschulen) die musikalische ausbildung von Kindern. Luther hatte geplant, das Singen von „Chorä- len“, zum Beispiel Hymnen, bei denen deutsche religiöse Texte über ein- fache, eingängige Melodien gesetzt werden, zum Bestandteil der Liturgie zu machen. Sie sollten für mehr als zwei Jahrhunderte die Bausteine für lutherische Komponisten werden. eine derartige künstlerische und spiri- tuelle Hingabe ließ die deutschsprachigen Länder nach den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges, die der Hälfte der Bevölkerung das Leben gekos- tet hatten, sich wieder aufrichten, als er 1648 zu ende war. Zu dieser Zeit stand, mehr als jemals zuvor, die dauernde Beschäftigung mit dem Tod und allen erdenklichen arten von Lei- den in schreiendem gegensatz zur christlichen Botschaft, die das irdi- sche Leben als Trugbild brand- markte und die Hoffnung auf ewige glückseligkeit im Jenseits propagierte. Tatsächlich, wie Ber- nard Vogler sagt, „zähmte das Luthertum den Tod, indem es ihn in das Konzept der Wiederaufer- stehung hüllte“, woraus in erster Linie die Musik nutzen zog. oder, wie gilles Cantagrel es so treffend ausdrückt: „Den Menschen Musik zu geben, war damals ebenso wichtig, wie ihnen Brot zur nahrung zu geben, denn diesemVolk, das so sehr gelitten hat, bringt die Musik zugleich Trost, die eigentlichen irdischen Freuden und die spirituelle erhebung, nach der sich jeder sehnt.“ Während des gesamten 17. Jahrhunderts schufen deutsche Komponisten ein großartiges Repertoire an geistlicher Musik, für das sie gesangs- und Instrumentalformen übernahmen, die von Italienern, den ersten Meister- komponisten der Barockmusik, erarbeitet und kontinuierlich erneuert wor- den waren. So adaptierten sie den Konzertstil („stile concertato“) wie die Monodie mit Begleitung (Sologesang mit Basso continuo); doch sie taten dies mit einem gehör für Harmonie und einem streng kontrapunktischen sowie höchst expressiven Stil, wie man es bei keinem ihrer italienischen Vorbilder findet. So gaben sie als gesangsbegleitung anstelle des hellen Klangs der Violine oft dem Reichtum der Polyphonie und dem tieferen, samtig verschleiernden Klang der Violen und Celli den Vorzug. Unter den bedeutendsten und eindrucksvollsten geistlichen Kompositio- nen dieser epoche gibt es eine anzahl großartiger Kantaten für Sologesang mit orchesterbegleitung. Dabei muss betont werden, dass der heutzutage weitverbreitete Terminus „Kantate“ in Deutschland erst ab dem 18. Jahr- 27 T age a LTeR M USIK R egenSBURg Juni 2017 v. l. Sophie Gent, Tuomo Suni Foto: Mailis Snoeck Photography v. l. Sophie Gent, Tuomo Suni, Kathleen Kajioka Foto: Mailis Snoeck Photography St.-Oswald-Kirche Foto: Hanno Meier Johann Christoph Bach: Altstimme, Ach, daß ich Wassers gnug hätte Johann Christoph Bach

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