Tage Alter Musik – Programmheft 2017

33 T age a LTeR M USIK R egenSBURg Juni 2017 len die Männer mühelos zum opfer wie bei einem Strauch, in dem sich die Füße der Vögel verfangen. Die Partitur enthält eine einzige Strophe, doch entliehen wir die anderen Verse der Fassung von 1652, die uns far- biger erschien. Wien, 1663 Die Partitur der Maddalena wird in der Leopoldiner Sammlung der Öster- reichischen nationalbibliothek in Wien aufbewahrt: es handelt sich um eine handschriftliche prunkvolle und sorgfältige Kopie, die wahrscheinlich aus der Feder eines Hofkopisten stammt. Bertalis La Maddalena unterscheidet sich von den anderenWiener oratorien in mehr als nur einer Hinsicht. Suchen wir hier keine spektakuläre Thea- tralik, voll von allegorischen Figuren, verschiedenen aposteln und Heili- gen, sondern eher einen starken rhetorischen ausdruck des Schmerzes im angesicht des Todes, eine gedankliche auseinandersetzung mit dem Sinn und der nichtigkeit des Lebens. In dieser Maddalena teilen sich nämlich nur sechs Sänger die erzählung auf. Sie werden von einem Basso continuo begleitet, aber auch von einem sechsstimmigen gambenconsort, einer Vio- line, zwei Zinken und einer Posaune. eine Seltenheit ist, dass alle Instru- mentalstimmen in der Partitur verzeichnet sind, während diese art der Mitwirkung für gewöhnlich durch den Hinweis „con viole“ angegeben wird. Die reiche Beschaffenheit, die Bertali den accompagnati und den arien zukommen lässt, bewirkt eine besondere Dichte des ausdrucks. außerdem handelt es sich hier sehr wahrscheinlich um ein kostbares Zeug- nis der Begleitpraktiken des Consorts. Prima parte In dunkler, beunruhigender Stimmung führt eine Sinfonia für sechs gam- ben in den Prolog ein. Das vollständige gambenconsort begleitet die tiefe Bassstimme des Pentimento (der Reue) sowie der Amor verso Dio (Liebe zu gott), das von einemaltus verkörpert wird; der eine wie der andere stellen fest, dass sich das antlitz der erde seit dem Tod des Herrn verändert hat. Vor seinem grab versuchen sie zunächst, ihren gram durch Tränen zu lindern. Danach appellieren sie an die empathie und flehen, dass ihnen Jesus wiedergegeben wird. ohne den Herrn fühlen sie sich verloren und wollen sterben. Seconda parte eine kurze Sonate, die von chromatischem Zögern gequält wird, leitet in die Darstellung der zwei Frauen ein, die Jesus am nächsten waren: die Jungfrau Maria, seine liebende Mutter, und Maria Magdalena, seine erge- bene gefährtin. Untröstlich flehen beide, dass ihnen der Herr wiederge- geben wird, andernfalls wollen sie sterben. abwechselnd klagen sie in der arie „ahi sospiri“, die jedoch auch Spuren von Hoffnung enthält (in Form eines ternären Tanzes, wobei der der Maria Magdalena sogar in Dur erklingt): Ihre Seufzer lindern ihr Leiden. Doch sehr rasch gewinnt der Schmerz wieder die oberhand: beide flehen um Hilfe. Terza parte Bertali verbindet das geradezu abgründige Timbre der stillen Zinken mit den Sündern: der erste von ihnen wird von seinen Schuldgefühlen gepeinigt und begreift, dass sein Schmerz ewig andauern wird. Für diese entdeckung schreibt ihm Bertali eine wunderbare, strahlende arie in a-Dur (während das restliche Werk mit erniedrigungszeichen arbeitet, wobei c-Moll vor- herrscht). ein zweiter Sünder kommt zum ersten hinzu, der bemerkt, dass die Reinheit die vergängliche Zeit bezwingt und dass alles auf erden nur Schatten und nichtigkeit ist. eine sehr bewegte Sonatine im Tremolo ver- anschaulicht den gnadenlosen Krieg, der den zweiten Sünder quält. er ist nun wegen seines Lebens als Schurke vomHimmel zum elend verdammt. Da fordert Maria Magdalena die Sünder auf, ihre Fehler zu beweinen („eine Träne kann die Quelle ewigen Glücks sein“ ). Mit einer tänzerischenarie kommt Maria hinzu, die wieder Hoffnung geschöpft hat und vorschlägt, alle Wun- den der Seele mit den eigenen Tränen reinzuwaschen. Die nun belehrten Sünder möchten bereuen und erhoffen gottes Vergebung. Darauf folgen in Form von Duetten abwechselnd Maximen und überlegungen über die Vergänglichkeit des Lebens, die Täuschungen und die nichtigkeit der irdi- schen Welt. Hier setzt der Schlusschor ein: Zu Maria Magdalena, die zunächst ihre Zurückhaltung und ergriffenheit ausdrückt, kommen die drei anderen Figuren hinzu. Ihre Stimmen werden von einer spekta- kulären Sonatine unterbrochen, in der die Zinken und Posaunen den gamben und Violinen gegenüber- stehen; Stimmen und Instrumente vermischen sich danach, um die all- gemeine Maxime des Werks offen zu bestätigen: Was wir auch immer tun, wir sind für die Buße, den Schrecken, das grab und die Ver- wesung bestimmt. © Nicolas Achten Erste Seite von Salomone Rossis Madrigaletti, Venedig 1628 Antonio Bertali CD: Antonio Bertali, La Maddalena

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