Tage Alter Musik – Programmheft 2017

chengebrauch umzuwandeln, das heißt, er verändert ein weltliches Sujet in ein religiöses. Dieser ständige Transfer vonWerken von einemRepertoire in ein anderes führte auch zu aneignungen oder Wiederverwertungen durch andere Komponisten. Das ist für die heutige Musikforschung kein Hindernis, stellt aber einen anreiz dar, Hidalgos Werk genauer zu studie- ren. ein bezeichnendes Beispiel dafür ist das erste Werk des heutigen Kon- zerts: ¡Venid, querubines alados! („Herbei, geflügelte Cherubine!“) eine reli- giöse adaption von ¡Venid a la olímpica lucha! („Kommt zum olympischen Kampfe!“) und Bestandteil des zweitenaktes der comedia Los juegos olímpicos („Die olympischen Spiele“), „ein Festspiel, das anlässlich des geburtstages unserer Königin Doña Mariana de austria aufgeführt wurde“ (1673), geschrieben von demDramatiker agustín de Salazar y Torres (1642–1675). Villancicos Wir kennen Hidalgo als Komponisten von tonos , weniger geläufig ist er uns als Polyphoniker und Kontrapunktiker. In den mehrstimmigen vil- lancicos benutzt er Stimmimitationen und setzt mit einer expressiveren Schreibweise das erbe eines Joan Pau Pujol (1570–1626), eines Juan Bautista Comes (ca. 1582–1643) oder eines Carlos Patiño (1600–1675) auf einem höheren niveau fort. Zugleich bildet er die Brücke zu seinen unmittelbaren nachfolgern, darunter Juan Bonet de Paredes (ca. 1647–1710), antonio Teodoro ortells (1647–1706), Sebastián Durón (1660–1716), José Martínez de arce (ca. 1660–1721) und Matías Ruiz (ca. 1665–1702). Dies ist der Hauptgrund dafür, dass heute auch villancicos des Madrilenen vorgestellt werden, darunter einige recht ausgedehnte. Der geistliche villancico , zweifellos die im Spanien des 17. Jahrhunderts am stärksten vertretene volkssprachliche gattung, ist vielgestaltig und komplex, sowohl in Bezug auf seine Funktion als auch auf seine formale und stilistische Bandbreite. Seine Struktur prägt sich rund um einen estri- billo (Refrain) aus, den am stärksten ausgearbeiteten und mit den meisten Stimmen und Instrumenten versehenen abschnitt. Ihm folgen eine res- puesta (antwort), die diesen zusammenfasst oder sich darauf beschränkt, einige seiner Teile zu wiederholen, sodass deren vollständige Wiederho- lung am ende jeder copla (Strophe) vermieden wird, sowie einige intimere und im Vergleich zu estribillo und respuesta kleiner besetzte coplas . Die Fle- xibilität der gattung villancico zeigt sich vor allem im estribillo , einem oft in polymetrischen Versen gehaltenen abschnitt, die dem Komponisten absolute Freiheit gewähren und gleichzeitig das experimentieren mit neu- artigen ausdrucksmitteln erlauben. Beispielhaft sind hier die villancicos für die Weihnachtsmetten (Heiligabend und Dreikönig) und für Fronleich- nam, wobei letztere im Rahmen der Prozession und bei diversen Feiern zu ehren des allerheiligsten sowie zu deren oktav aufgeführt wurden. Hinzuzufügen wäre eines der auffälligsten Merkmale der bei großen anlässen gespielten villancicos : die Mehrchörigkeit. Sie ist ausdruck des- sen, was man einst als „Kolossal-Barock“ bezeichnete: Zwei, drei oder vier Chöre in unterschiedlichen vokalen und/oder instrumentalen Besetzungen sowie ein Continuo-ensemble verteilten sich im Kirchenraum, was dra- matische Dialog- und echoeffekte sowie klangfarbliche und dynamische Kontraste ermöglichte. Dies eignete sich hervorragend dazu, die affekte der poetischen Vorlagen auszudrücken. Mehrchörige villancicos sind von Hidalgo kaum überliefert, mehrstimmige (zwei-, drei-, vier-, sehr selten auch fünf- und sechsstimmige) dafür umso mehr. Sie halten sich an die traditionelle, oben beschriebene Form ( estri- billo–coplas ) und teilen alle Stilmerkmale der weltlichen tonos, von denen sie sich nur in der nunmehr religiösen Thematik unterscheiden. Diese vokale, geistliche „Kammermusik“ wurde bevorzugt im Rahmen von andachten gepflegt, die sich im Laufe des 17. Jahrhunderts im ganzen Land verbreiteten. Die vielleicht bekannteste unter ihnen gilt dem Fest der Cuarenta Horas (Vierzig Stunden). Interpretationskontext: die Cuarenta Horas (vierzig Stunden) Die Feier der Cuarenta Horas zu ehren des allerheiligsten war eine andachtspraxis, die das ganze Jahr über jeden ersten Donnerstag, Freitag und Samstag des Monats in der Kapelle des Real Alcázar gepflegt wurde. Während am Morgen eine gesungene Messe mit Litanei und Prozession stattfand, war für den nachmittag eine sogenannte siesta vorgesehen. Die Bezeichnung siesta bezieht sich auf eine Feier im nicht eigentlich liturgischen Sinne, sondern im Sinne einer kontemplativen andacht, in deren Verlauf verschiedene geistliche villancicos und tonos aufgeführt wurden, die sich in der Regel mit Instrumentalstücken abwechselten. Im grunde handelte es sich um eine art „geistliches Konzert“, das in einer Litanei auf das aller- heiligste und einer Prozession kulminierte. es ist anzunehmen, dass sich das abhalten dieser siestas auf andere Feiertage des liturgischen Kalenders 39 T age a LTeR M USIK R egenSBURg Juni 2017 König Karl II. Jusepe Leonardo zugeschrieben Blick auf auf den Madrider Königspalast ca. 1637 besonderer Hinweis Pfingstsonntag, 4. Juni 2017 17.00 Uhr und 18.30 Uhr, Bruderhauskirche, emmeramsplatz 12 D AS MUSIKALIScHE E RbE DER SPAnIScHEn T änZE – À LA REcHERcHE DU bAL PERDU Vortrag von Prof. Dr. Álvaro Torrente, Madrid In diesem Vortrag werden die frühen Quellen der gesungenen spanischen Tänze des spanischen goldenen Zeitalters vorgestellt. Die meisten Texte sind gedichte, einige davon, wie die Zarabanda, die Chacona oder der Canario verbreiteten sich durch ganz europa und wurden Teil der musikalischen europäischen Tradition. Der Vortrag um 17.00 Uhr erfolgt in spanischer Sprache, der um 18.30 Uhr in englischer Sprache. eintritt frei! In Zusammenarbeit mit dem deutsch-spanischen Verein El Puente e.V.

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