Tage Alter Musik – Programmheft 2017

telalterlicher Polyphonie. Mehrere gründe wurden dafür geltend gemacht, z. B. das gewissenhafte Studium der Quellen. Mittlerweile ist es populär geworden, jegliche Interpretation mittelalterlicher religiöser und parali- turgischer Musik - auch der Monodien - in Zweifel zu ziehen, bei der Begleitinstrumente verwendet werden. aber wenn man die unten erwähn- ten Quellen des 12. und 13. Jahrhunderts betrachtet, wird klar, dass diese Zweifel unbegründet sind. Das Werk des Hieronymus de Moravia/Jérmôe de Moravie (bekannt unter demnamen „Tractatus de musica“, um 1272) ist den „fratres ordinis nostri vel alii“ gewidmet, den „Brüdern unseres und anderer orden“. er beschreibt hier eine Fidel und die arten, sie zu stimmen. nach ihm ist die erste Stimmung (d-g-g-d’-d’) „et tallis viella, ut prius patuit, vim modorum omnium comprehendit“ – „und die Fidel umfasst alle Töne, wie es hier beschrieben ist“. Die zweite Stimmung (d-g-g-d’-g’) ist für ihn „necessarius est propter laycos et omnes alios cantus, maxime irregulares, qui frequenter per totum manum discurrere volunt“ – „nötig für den religiösen Gesang und andere Arten des Gesanges, vor allem für den unregelmäßigen Gesang, der oftmals über die ge- samte [Guidonische] Hand wandern möchte“ . Hieronymus de Moravia offeriert zwei Stimmungen, eine für den religiö- sen gesang und die andere für die weltliche Musik. es scheint, dass die Verwendung von Instrumenten in der geistlichen Musik für ihn kein Pro- blem darstellte. Das Statut der Kollegialkirche ottery St. Mary (um 1340) enthält in einemartikel über die obligato- rische Unterweisung der Choristen die Bemerkung „cantu organico et organicis instrumentis“ – „gesang und Spiel der Musikinstrumente“: „Item statuimus quod Cantor et Capel- lanus Beate Marie per se vel alios tene- antur semper pueros choristas et cle- ricos de secunda forma ad hoc habiles in cantu organico et organicis instrumentis informare et videant quod tam clerici secundarii quarr pueri frequentent missam beste Marie, vel gravissime punian- tur.“ – „Ebenso stellen wir fest, dass Kantor und Kapellan von St. Marien, die für sich selbst und auch andere verantwortlich sind, Chorknaben und dafür geeig- nete Geistliche niederer Weihen (z.B. Lektoren, Akolythen, Subdiakone) im mehr- stimmigen Gesang und Instrumentenspiel unterrichten, und es scheint, dass sowohl die niederen Geistlichen als auch die Knaben die Marienmesse zahlreich besuchen oder hart bestraft werden.“ Honoré d’autun (Honoris augostodunensis, um 1070 - nach 1139) sagt - am ende seiner Beschreibung der in der Kirche getanzten carole (chorea/ca- rola - Rundtanz) im Kapitel „De choro“ (Vom Kirchenchor) seines Trak- tates „gemma anime“, dass „unde et adhunc in Choreis musicis instru- mentis uti nituntur“ – „also die Musikinstrumente in den Rundtänzen ver- wendet werden, heute wie früher“. eine Skulpturengruppe von der West- fassade der Kathedrale notre-Dame de Paris, heute im Musée de Cluny, zeigt drei musizierende engel mit Fidel, Quinterne (Citole?) und Psalte- rium. Das sind die Instrumente, die wir auch im Konzert verwenden – zusammen mit dem von Honoré d’autun erwähnten Tamburin als Instru- ment der Jungfrau Maria zur Begleitung von Rondelli. © Danil Ryabchikov (Übersetzung: Susanne Ansorg) 45 T age a LTeR M USIK R egenSBURg Juni 2017 c ARMInA H ELvETIcA c OnDUcTUS UnD R OnDELLI DES 12. bIS 14. J AHRHUnDERTS AUS S cHWEIZER K LÖSTERn UnD b IbLIOTHEKEn A nOnyM Flore vernan virginali (Rondellus, Engelberg 314, XIV c.) A nOnyM Procedenti puero (Rondellus, St. Gallen 383) D AnIL R yAbcHIKOv estampie über „Procedenti puero“ A nOnyM ortus dignis Christi signis (Conductus, Engelberg 314) v ERMUTL . W ALTER v On c HATILLOn ovans chorus scholarium (ca.1135-ca.1190) (Conductus, Engelberg 314) D AnIL R yAbcHIKOv estampie über „Beata viscera“ (Perotin, um 1200) P HILIPP T HE c HAncELLOR Homo natus ad laborem (ca. 1160/70-1236) (Conductus, Zürich Zentralbibliothek, C 58, Florenz Ms. Pluteus 29, XIII c.) D AnIL R yAbcHIKOv estampie über „Veri floris sub figura“ (St. Gallen 13) A nOnyM Clangam filii (Sequenz, Paris BNF 887) D AnIL R yAbcHIKOv nota in primo modo W ALTER v On c HATILLOn Dum medium silentium (Conductus, St. Gallen 551) W ALTER v On c HATILLOn ecce torpet probitas (Conductus, St. Gallen 551) W ALTER v On c HATILLOn Sol sub nube latuit (Conductus, St. Gallen 8) D AnIL R yAbcHIKOv estampie A nOnyM Veni Sancte Spiritus (Rondellus, Engelberg 314, XIV c.) P ROGRAMM E nSEMbLE L AbyRInTHUS Witte-Maria Weber Sopran Anastasia bondareva Sopran Alexander Gorbunov Fidel Danil Ryabchikov Citole & Leitung A USFüHREnDE Alexander Gorbunov & Danil Ryabchikov CD: Carmina Helvetica

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