Tage Alter Musik – Programmheft 2017

52 T age a LTeR M USIK R egenSBURg Juni 2017 Verpflichtung gehalten zu haben: aus der Zeit von März 1714 bis zu seiner unehrenhaften ent- lassung im Dezember 1717 sind lediglich etwa 20 Werke dieser gattung überliefert. Denkbar wäre es jedoch, dass Bach Versäum- nisse bei der erfüllung seiner monatlichen Ver- pflichtungen mit der Komposition von instru- mentaler ensemblemusik ausgleichen konnte. Der Text von BWV 18 entstammt erdmann neumeisters (1671–1756) drittem Kantatenjahr- gang „geistliches Singen und Spielen“ (gotha 1711), der ursprünglich für den eisenacher Hof zur Vertonung durch georg Philipp Telemann bestimmt war. Zu den Verdiensten neumeis- ters, der mit über 500 Texten zu den bedeutend- sten Dichtern dieser gattung gehört, zählt die einführung von Rezitativen und (Da-capo- )arien in die protestantische Kirchenkantate um 1700. nachdem die Kantaten seines ersten, 1702 veröffentlichten Jahrgangs („geistliche Cantaten statt einer Kirchen-Music“) noch aus- schließlich aus solchen freien Dichtungen bestanden hatten, ein Konzept, in dem die Beteiligung eines Chores von vornherein ausgeschlossen war, fügte er denjenigen des dritten Jahrganges Bibelworte und Choralstrophen hinzu. Für BWV 18 ergibt sich daraus im anschluss an die Chaconne-artige instrumentale Sinfonia eine Folge von eingangschor mit einem zum evangelium des Tages, dem gleichnis vom Sämann, passenden Bibel- spruch („gleichwie der Regen“, Jes 55,10 f.), Secco-Rezitativ, accompag- nato-Rezitativ mit Chor, zweiteiliger aria und einem Schlusschoral mit der achten Strophe von Lazarus Spenglers „Durch adams Fall ist ganz verderbt“ (1524). Besondere erwähnung verdient der dritte Satz („Mein gott, hier wird mein Herze sein“), dessen vierteilige anlage auf dem mehrfachen Wechsel zwischen frei gedichteten rezitativischen Passagen (Tenor und Bass) und responsorial gestalteten Choreinwürfen mit Zitaten aus Luthers deutscher Litanei „Du wollest deinen geist“ (1528/29) basiert. anlässlich der Wiederaufführung der Kantate am 13. Februar 1724 in Leipzig ergänzte Bach die ungewöhnliche Besetzung – vier Violen, Fagott, Violoncello und Continuo – zum Zwe- cke der Klangaufhellung um zwei, die beiden oberen Violen oktavierende Blockflötenstim- men. Mit der Kantate Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen bWv 12 präsentierte Bach in seiner neuen Funktion als Konzertmeister dem Wei- marer Publikum am Sonntag Jubilate des Jahres 1714 (22. april) ein Werk, dessen Text dem damaligen oberkonsistorialsekretär Salomo Franck (1659–1725) zugeschrieben wird. Wie die unmittelbar davor aufgeführte Palmsonn- tagskantate „Himmelskönig, sei willkommen“ BWB 182 und die Pfingstkantate „erschallet, ihr Lieder“ BWV 172 besteht BWV 12 aus einer instrumentalen einleitung, gefolgt von einem Chor, einem Rezitativ, drei arien, die sich in Charakter, Besetzung und Form voneinander unterscheiden, und einem Choral. Den Schluss der beiden anderen Werke bildet jeweils ein Chor. In anlehnung an das evangelium des Tages über eine der abschiedsreden Jesu (Joh 16,16–23) stellen sowohl der Kan- tatendichter als auch Bach nicht nur den gegensatz von Traurigkeit und Freude, sondern auch das Per aspera ad astra-Prinzip (vom Dunkel zum Licht) in den Mittelpunkt und folgen damit vor allem dem Motto „eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden“. So führt die Musik den Hörer beispielsweise aus dem düsteren f-Moll-Bereich der Sinfonia und des folgenden Chores in das lichte B-Dur des Schlusschorals (nr. 7), in dem die sechste Strophe von Samuel Rodigasts „Was gott tut, das ist wohlgetan“ (1674) erklingt. Dem aufmerksamen Konzertbesucher wird vor allem der eingangschor „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ (nr. 2) bekannt sein, dessen a-Teil, eine Chaconne mit zwölf Variationen über einen chromatisch absteigenden Lamento-Bass, Bach als Parodievorlage für das 1748/49 komponierte „Crucifixus“ der h-Moll Messe BWV 232 verwendete. © Bettina Berlinghoff-Eichler Ensemble Alia Mens, Laura Duthuillé, Oboe Foto: nicolas Maget Ensemble Alia Mens Foto: nicolas Maget Johann Ernst Rentsch Bach Porträt Weimar um 1715

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