Tage Alter Musik – Programmheft 2017

7 T age a LTeR M USIK R egenSBURg Juni 2017 Haydn seine erste musikalische anstel- lung als Kapellmeis- ter in Pilsen (worüber wir nur wenig wis- sen); 1761 (mit 29 Jah- ren) tritt er seine wichtigste und prä- gendste anstellung bei der ungarischen Fürstenfamilie ester- házy an, die in Wien, eisenstadt und ester- háza am neusiedler See Residenzen unterhält. Haydn ist zunächst als Vizeka- pellmeister unter gre- gor Joseph Werner (1693–1766) tätig und folgt diesem nach dessen Tod als erster Kapellmeister 1766 nach. nun ist Haydn mit schon 34 Jahren für die gesamte Hofmusik verantwortlich, schreibt Sinfonien, Messen und opern für das eigene Hoforchester, die Hofkirche und das Theater sowie Kam- mermusik in den unterschiedlichsten Besetzungen für die selbst musizie- rende Fürstenfamilie. In seiner fast 30-jährigen Tätigkeit hier muss Haydn sich als allrounder beweisen, muss – teils unter Zeitdruck – regelmäßig umfangreiche Werke schreiben, einstudieren und zur aufführung bringen – das Universalgenie wächst heran. Die Messe spielt im Leben Haydns eine große Bedeutung: 12 vollständige Messen und noch weitere Fragmente sind erhalten. Die sogenannte Cäci- lienmesse ist allerdings erst die zweite Messkomposition Haydns – mit ca. 17 Jahren schrieb er eine erste Missa Brevis, die als seine „Jugendmesse“ bezeichnet wird, ohne konkreten auftragshintergrund. Mit der Cäcilien- messe beweist Haydn, der bis dahin nicht für die Kirchenmusik des Für- sten zuständig war, unmittelbar nach seinemaufrücken zum Kapellmeis- ter 1766, dass er nun auch für die höchste Form der Kirchenmusik die nötige Reife hat. Der anlass zur entstehung der Missa Cellensis in honorem Beatissimae Virginis Mariae, so der vollständige Titel, liegt im Dunkeln. Sie ist dem Marienwallfahrtsort Mariazell in der Steiermark gewidmet (der zum ein- flussgebiet des Fürsten esterházy gehört) und mindestens die ersten beiden Sätze liegen in einer mit 1766 datierten Handschrift vor, die erst 1975 ent- deckt wurde. Vermutlich hat Haydn die Messe aber erst später fertigge- stellt, denn sie wird allgemein mit einer aufführung durch die Wiener Tonkünstler-Bruderschaft der Cäcilienkongregation im Jahr 1773 in Ver- bindung gebracht – daher auch der spätere Titel „Cäcilienmesse“. Dieser Titel hat sich bis heute durchgesetzt, obwohl das Werk weder inhaltlich noch historisch mit der Hl. Cäcilia in Verbindung steht. Möglicherweise hat Haydn aber die 1766 schon begonnene Messe für die Wiener auffüh- rung 1773 vervollständigt oder stark erweitert. Die Cäcilienmesse (es gibt noch eine zweite Missa Cellensis für den Wall- fahrtsort Mariazell von 1782 – daher bleibt man heute gerne beim einge- bürgerten Titel) ist von allen Messen Joseph Haydns bei weitem die umfangreichste und sie würde mit fast 70 Minuten Dauer für eine Ver- wendung in einem Hochamt jeden liturgischen Rahmen sprengen. Sie ist in der Form der Kantatenmesse geschrieben, d. h. das gesamtwerk setzt sich aus mehreren Teilstücken zusammen, die möglicherweise auch alleine stehen können. So umfasst das gloria allein über 800 Takte, dauert gut 30 Minuten und gliedert sich in 7 größere Formabschnitte – es könnte ohne weiteres als selbständiges Werk stehen. auch das Credo ist mit einer auf- führungsdauer von gut 17 Minuten ein vergleichsweise langer Messab- schnitt – zahlreiche autoren haben daraus, dass der Lobpreis gottes hier im Zentrum des Werkes steht, auf Haydns außergewöhnliche Frömmig- keit, gottvertrauen und glaubenstiefe geschlossen. Sicher wollte Haydn mit dem umfangreichen Werk aber auch sein hohes kompositorisches Kön- nen unter Beweis stellen – als neuer erster Kapellmeister 1766 im Hause esterhazy und/oder anlässlich der aufführung zum Cäcilienfest in Wien im november 1773. Das heutige Konzert stellt den allrounder Haydn in den Mittepunkt und so gehört natürlich auch eines der vielen Instrumentalwerke zum Pro- gramm, die Sinfonie nr. 38 (Hob. I:38 – die abkürzung bezieht sich auf das Werkverzeichnis des niederländischen Musikwissenschaftlers anthony van Hoboken, 1957–1978, Werkgruppe I:Sinfonien, nr. 38). Diese wurde wohl 1767 (nach der gesamtausgabe – das Werkverzeichnis nennt die Jahre 1768/69) in eisenstadt komponiert – ist also wie die Cäcilienmesse in der ersten Zeit Haydns als neuer Kapellmeister des Hauses esterházy entstan- den. Sie gehört zu der Werkgruppe, die britische Musikwissenschaftler als die „Sturm & Drang“- Sinfonien bezeichnet haben – in analogie zur gleichnamigen Bewegung in der Literatur, von Friedrich Maximilian Klin- gers (1732–1831) Schauspiel „Sturm und Drang“ bis zu Johann Wolfgang von goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ (1774). ob Haydn allerdings von diesen damals modernen Werken der Literatur beeinflusst wird, darf bezweifelt werden – ist er doch in einer gewissen künstlerischen Isolation gefangen, wie sein Biograph georg august grie- singer später einmal sagt. Der Hof des Fürsten esterházy pendelt zwischen dem ungarischen esterháza, dem Hauptsitz eisenstadt und politischen Verpflichtungen in Wien, und Haydn muss an den Residenzen quasi omni- präsent sein. Die zwischen 1766 und den späten 70-er Jahren geschriebenen Sinfonien Haydns gehören zu seinen ausdrucksstärksten Werken – vor seinen berühmten „Londoner Sinfonien“ von 1791–1795. Sie verlangen nur ein kleines orchester, in dem Haydn wohl selbst die erste geige spielt – die Meisterkurse und Seminare für Alte Musik der Universität Mozarteum in Innsbruck www.uni-mozarteum.at/de/kunst/ib INNSBRUCK BAROCK 5. bis 13. August 2017 Joseph Haydn

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