Tage Alter Musik – Programmheft 2018

20 T age a LTer M uSIK r egenSBurg Mai 2018 Klang des Instruments zu sprechen, äußert er die Warnung, dass „zu lockere Lippen das Instrument hornartig klingen lassen und dass zu sehr gespannte Lippen den Klang spröde (sfesso) machten.” Doch wie sollen wir wissen, was übermäßige Helligkeit oder Dunkelheit ausmachen könnte? Dalla Casas Feststellung, die völlig zutreffend ist, geht davon aus, dass wir die antwort auf diese Frage kennen. ein anderer Zinkenist, Luigi Zenobi, fordert, Zinkenisten sollten nach ihrer Fähigkeit, eine Knabenstimme zu imitieren, beurteilt werden – eine Beschreibung, mit der es viel eher gelingt, sich ein bestimmtes Timbre vor- zustellen: hell und klar. Helligkeit ist eine dem Zink häufig zugeschriebene Qualität, am eloquentesten in Mersennes berühmter Beschreibung von 1635: „Was die eigenschaft des Klangs, den er hervorbringt, betrifft, so ähnelt er einem Sonnenstrahl, der die Schatten der Dunkelheit durchdringt, wenn er unter den Singstimmen in den Kathedralen oder den Kapellen zu hören ist.“ Doch zusätzlich zu diesem hellen, vokalen Timbre wird Instrumentalisten – vor allem von dem Blockflöten-, Violen- und Zinkspieler Sylvestro ganassi – vermittelt, dass es das Ziel beim Spielen von Blasinstrumenten sein sollte, nicht Singen, sondern Sprechen zu imitieren: „... darin habe ich Erfahrung und habe andere Spieler die Worte durch ihr Spielen so verständlich machen gehört, dass man sagen könnte, dass dem Instrument nichts fehle als die Form des menschlichen Körpers, ganz so, wie man von einem gelungenen Gemälde sagt, dass ihm nichts fehle als der Atem. Aus diesen Gründen sollte man deshalb sich seines Zieles sicher sein: Sprechen nachahmen.“ Der Zink scheint somit in idealer Weise für die aufgabe geeignet zu sein, die menschliche Stimme nachzuahmen, sowohl vom Standpunkt der Klangfarbe als auch des Sprechens (artikulation). Wenigstens das hoffen wir mit unserem Konzert zu demonstrieren. unser Programm beginnt an der Wende des 17. Jahrhunderts, als der Zink auf dem absoluten gipfel seiner entwicklung stand. Sowohl von Sängern als auch von Zinkenisten erwartete man, erstaunliche Improvisatoren zu sein, und während Sänger beim Definieren des Stils der Verzierung sogar die Führung übernahmen (genannt gorgie wegen des gebrauchs der Kehle beim artikulieren der schnellen noten), waren Zinkenisten auch für ihre Verschönerungen (Verzierungen) berühmt. Diese virtuose ornamentation fand bald auch ihren Weg in die Solomusik im neuen Stil mit Basso con- tinuo. In diesen Stücken pflegten Zinkenisten die musikalische Konversa- tion mit Sängern fortzuführen, ständig ihre musikalischen Phrasen und ihre Verzierungen imitierend und widerhallend, so dass die Stimme und das Instrument „verflochten“ zu sein schienen. um die Mitte des 17. Jahrhunderts bestand die Standardbesetzung kleiner Konzertensembles mit einer Solostimme aus zwei Violinen und basso con- tinuo mit oder ohne obligatem Bassinstrument. Dies spiegelte die wach- sende Popularität von Streichinstrumenten und den parallel und damit verbundenen niedergang des Zinks wider. In den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts findet man aber ziemlich häufig Werke, die ein einzelnes obligates Sopraninstrument verlangen, oft bezeichnet als „Violine oder Zink“. Sogar wenn der Zink nicht als alternative erwähnt wird, war sein gebrauch zweifellos möglich, denn diese Instrumente waren so gut wie austauschbar. In gleicher Weise glaubwürdig ist der gebrauch des Zinks als ersatz für eine Sopranstimme. Im ersten Teil unseres Programms erkun- den wir all diese optionen. Der organist Maurizio Cazzati aus Bologna war eine wichtige, wenn auch umstrittene und manchmal polemische Persönlichkeit im musikalischen Leben seiner Stadt. als er in den 1650ern zumKapellmeister an der Basilika San Petronio berufen wurde, unternahm er eine einschneidende und bru- tale reform der Kapelle, indem er en masse alle Zinkenisten und Posau- nisten, von denen viele dreißig oder vierzig Jahre treue Dienste geleistet hatten, hinauswarf und sie durch Violinisten und Violoncellisten ersetzte. es gelang ihm jedoch, sowohl ausgezeichnete Sänger als auch Streicher an die Basilika zu ziehen. Sein „regina coeli“ aus einer 1667 veröffentlich- ten Sammlung von Marianischenantiphonen alterniert arioso-artige Teile mit expressiv begleiteten rezitativen und demonstriert eine Virtuosität vokalen Komponierens, die ihrem Wesen nach fast instrumental ist. Man kann beinahe sagen, dass die nachahmung der Stimme durch den Zink und die Violine mit einer nachahmung von Instrumenten durch die Stimme alterniert. nicolò Corradini war ein organist aus Cremona, der an einer reihe von kirchlichen Institutionen in Cremona leitende Funktionen bekleidete, dar- unter die Cappella delle Laudi an der Kathedrale, wo er Tarquinio Merulas nachfolger war. Seine Concertato-Motetten sind hier von besonderem Interessse, weil sie mehrere Beispiele mit einer hohen Singstimme und einem einzelnen hohen Instrument, in diesem Fall einem Zink, enthalten. Seine Motette „Spargite flores“ ist das seltene Beispiel eines Stückes, das speziell für einen Zink (oder eine Violine) und eine Stimme geschrieben wurde zu einer Zeit, als Besetzungen mit zwei Violinen schnell zur norm wurden. So reichen in diesem Stück die Stimme und der Zink im Dialog musikalisches Material hin und her, wobei das Instrument manchmal die Stimme imitiert und sich mit der Stimme vermischt. gelegentlich führt der Zink die vokalen Figuren weiter aus und schafft so wirklich instru- mentale Muster. Das fast gänzliche Fehlen von biographischen Informationen über Sigis- mondo D’India hat zu einer Menge Spekulationen bezüglich seiner Her- kunft und Bildung geführt. auf einer seiner Titelseiten behauptet er, von adliger sizilianischer geburt zu sein. Hinweise deuten auf Verbindungen mit dem Kreis um Don Fabrizio gesualdo hin, dem innovative Kompo- nisten wie giovanni de Macque angehörten. D’India reiste sehr viel und Tarquinio Merula Alessandro Scarlatti Hana Blažíková & Bruce Dickey Foto: Vojtech Havlik

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