Tage Alter Musik – Programmheft 2018

30 T age a LTer M uSIK r egenSBurg Mai 2018 signifikant. Die Mutter gottes galt seit Jahrhunderten als besondere Beschützerin der Stadt und spielte eine herausragende rolle in der vene- zianischen Hagiographie. So wundert es nicht, dass auch bei den diversen Zeremonien, die sowohl anlässlich der grundsteinlegung von Santa Maria delle Salute als auch nach der Beendigung des „schwarzen Todes“ statt- fanden, die Marienthematik prominent vertreten ist. Mehrere Quellen informieren über den ablauf von Messen und Prozes- sionen, bei denen selbstverständlich auch reichlich Musik erklang. eine davon, Marco ginammis La liberatione di Venetia (Venedig, 1631), inspi- rierte das ensemble Inalto zum Titel des heutigen Konzerts. Wie so oft erfahren wir in diesen Dokumenten zwar etwas über den generellen klang- lichen eindruck – oder sogar über die beteiligten Komponisten und ein- zelheiten der Besetzung –, aber die konkreten Stücke werden selten explizit genannt, sodass man oft nur Vermutungen darüber anstellen kann, was genau aufgeführt wurde. Das heutige Programm ist somit ein Versuch, einzelne musikalische Bausteine im komplexen Mosaik der Feierlichkeiten zu rekonstruieren. Die stilistische Bandbreite reicht von „klassischer“ Vokalpolyphonie über feierliche „venezianische“ Mehrchörigkeit (vgl. etwa giovanni Bassanis Deus misereatur nostri, eine Vertonung von Psalm 66) bis hin zu kleiner besetzter, zum Teil recht virtuoser und von gene- ralbass begleiteter Vokalmusik. Dabei spielen die damaligen Musiker des Markusdoms – wie etwa giovanni gabrieli, giovanni rovetta, Carlo Filargo und nicht zuletzt der damalige Kapellmeister Claudio Monteverdi – eine zentrale rolle, und die Marienthematik bildet den roten Faden durch das Programm. Da nicht weniger als drei Vertonungen der lauretanischen Litanei aufge- führt werden, lohnt es sich, zunächst auf den Text einzugehen. umrahmt von Kyrie und agnus Dei, besteht der Hauptteil der nach dem Marien- wallfahrtsort Loreto benannten Litanei aus einer reihe von anrufungen, die immer wieder von einer „ora pro nobis“-akklamation gefolgt werden. nach der anrufung der Heiligen Dreifaltigkeit richten sich die Bitten an Maria, die als Mutter („Mater Christi“ usw.) und als Jungfrau („Virgo pru- dentissima“ usw.), in bildhaften epitheta („Speculum iustitiae“ usw.) sowie als Mittlerin („Salus infirmorum“ usw.) und schließlich als Königin (regina angelorum“ usw.) um ihre Fürbitte bei gott gebeten wird. Wäh- rend etwa gabrieli nur den anfang und das ende seiner achtstimmigen Vertonung in der vollen Besetzung erklingen lässt und die Textur anson- sten immer wieder durch dialogartige Strukturen ausdünnt – das „ora pro nobis“ ist jeweils ähnlich gestaltet –, geht Monteverdi den umgekehrten Weg. Seine Litanei wächst allmählich von einer solistischen Deklamation („Kyrie eleison“) über kurze Duette („Christe eleison“) zu einer Tuttipas- sage („Pater de caelis“). auch im weiteren Verlauf wechseln sich – mal in homophoner, mal in polyphoner Textur – die Besetzungsgrößen ab. es ist davon auszugehen, dass Monteverdi einen großteil der Musik für die ver- schiedenen Zeremonien beigesteuert hat. einige Forscher haben versucht, bestimmte Kompositionen der 1640–1641 gedruckten und stilistisch sehr Canaletto, Venedig, die Rückkehr des Bucentaurus

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