Tage Alter Musik – Programmheft 2018

34 T age a LTer M uSIK r egenSBurg Mai 2018 der eine spezielle Vorliebe für italienische Instrumentalkonzerte hatte, selbst zahlreiche Werke dieser gattung schuf und von einer reise in die niederlande 1711–1713 notenmaterial für die Hofkapelle mitbrachte – darunter auch Vivaldis 12 Konzerte „estro armonico“ op. 3. Bachs bekannte Konzerttranskriptionen, zu denen neben seinen Vivaldi-Bear- beitungen auch Konzerte des Prinzen und das heute erklingende oboen- Konzert in d-Moll vonalessandro Marcello (1673–1747) mit seinem beseel- ten langsamen Satz die Vorlagen lieferten, sind wohl im rahmen seiner Dienstverpflichtungen als Kammermusiker am Hof entstanden. neben der anpassung der originalen Stimmensätze an die Idiomatik der Tasten- instrumente schmückte Bach die Melodiestimmen in den langsamen Sät- zen kunstvoll aus, wofür die Bearbeitung des oboenkonzerts BWV 974 ein besonders schönes Beispiel liefert. auch die Vorlage für Bachs adaption der Solokantate „Languet anima mea“ von Francesco Bartolomeo Conti (1681–1732), der 1713 zum „Hof- compositeur“ am Habsburger Hof in Wien ernannt worden war, stammt möglicherweise aus demnotenbestand des Prinzen. In zeittypischer Weise bediente sich der unbekannte Librettist in dem geistlichen Werk der Bilder weltlicher Liebeslyrik, wenn er etwa Jesus – wie amor – das Herz der gläubigen mit dem „Wurfpfeil“ seiner Liebe verwunden lässt. Bach schrieb das Werk 1716 in Weimar eigenhändig in Partitur ab, erstellte in seiner Köthener Zeit (1717–1723) eigenes aufführungsmaterial, das er zur Ver- stärkung der geigen im zweiten und fünften Satz mit oboenstimmen ergänzte, und ließ wohl im Sommer 1723 für eine aufführung nach seiner Berufung zum Thomaskantor in Leipzig noch eine bezifferte Continuo- Stimme anfertigen. Lateinische Kirchenmusik spielte in Bachs Schaffen für den protestanti- schen gottesdienst eine deutlich geringere rolle als die Kantaten. neben der monumentalen h-Moll-Messe, Bachs einziger Vertonung des vollstän- digen ordinariums, finden sich bei ihm nur noch vier originale Kyrie-glo- ria-Messen. Dieser Typus, der nur diese beiden Messsätze zur mehrstim- migen Vertonung vorsah, bildete sich ursprünglich in Italien heraus mit Schwerpunkt in neapel und Bologna, wo man die übrigen Sätze choraliter sang. Bach lernte diese Praxis über seine guten Kontakte nach Dresden kennen, wo Johann David Heinichen und Jan Dismas Zelenka zur Berei- cherung des repertoires der katholischen Hofkapelle eine große Zahl zeit- genössischer Werke italienischer Herkunft sammelten. Bach stand in regem austausch mit Zelenka, kannte den Dresdner notenbestand und kopierte hieraus für den eigenen Bedarf. gerade Kyrie-gloria-Messen waren für den protestantischen Bereich interessant, da sich hier ein Messe-Typus etablierte, in dem Credo und agnus Dei durch Kirchenlieder ersetzt wur- den und das Sanctus nur an hohen Festtagen gesungen wurde, wofür Bach mehrere einzelsätze schuf. So nahm auch Bach neben seinen originalkompositionen Kyrie-gloria- Messen italienischer Meister in sein repertoire auf, die er an seine aktuel- len Bedürfnisse anpasste. Bereits während seiner Weimarer Zeit erwarb Bach abschriften eines Kyrie in C-Dur und der heute erklingenden Messe in a-Moll des einstigen Dresdner Hofmusikers Marco giuseppe Peranda (1625–1675), der 1663 in den rang eines Kapellmeisters der kurfürstlichen Kapelle aufstieg. Von der in den 1660er-Jahren entstandenen a-Moll- Messe, die in ihrem Wechsel und Miteinander der vokalen und instru- mentalen Parts als schönes Beispiel für den am Dresdner Hof gepflegten Concertato-Stil gilt, fertigte Bach um 1714–1717 eine Stimmenabschrift an, von der allerdings nur das Kyrie erhalten ist. Bach modifizierte auch hier den notentext nicht substanziell, sondern revidierte lediglich sorg- fältig die Textunterlegung, änderte einige Dur- in Mollkadenzen und fügte Verzierungen hinzu. gravierender stellen sich die eingriffe bei der Bearbeitung der c-Moll- Messe von Francesco Durante (1684–1755) BWV anh. 26, BWV 242 dar, von der Bach um 1730 eigenhändig eine Partiturabschrift anfertigte. Durante hatte seinen Lebens- und Schaffensmittelpunkt in seiner geburtsstadt neapel, wo er an verschiedenen Konservatorien tätig war. einige seiner Werke, die u. a. wohl im Zusammenhang mit seinem auf- enthalt am kurfürstlichen Hof zu Sachsen anfang der 1720er-Jahre ste- hen, sind nur in Prag und Dresden überliefert. So führt etwa Zelenka Durantes B-Dur-Messe in seinem Inventar auf; die originalversion der von Bach bearbeiteten c-Moll-Messe wurde erst in den 1990er-Jahren in den Beständen des Domes St. Veit in Prag entdeckt. Während Durante im Kyrie den Vokalpart in allen drei Teilen durchgehend vollstimmig setzte, gliederte Bach den Satz durch ein neu komponiertes „Christe elei- son“ für Sopran- und alt-Solo deutlich. Für das Kyrie II, das bei Durante lediglich aus einem zweitaktigen „Kyrie eleison“-ruf besteht, arbeitete Bach die Musik, mit der Durante das gloria anstimmen lässt, zu einem ausgedehnteren Teil um. Im gloria beginnt Bachs Bearbeitung daher erst mit „in terra pax“. Diese musikalische umstrukturierung war möglich und sinnvoll, weil in Leipzig die Intonation der Worte „gloria in excelsis deo“ dem Liturgen zustand. anders als in der Prager Quelle sind in Bachs Version zu den beiden Violinen noch drei Posaunen besetzt, die die drei unteren Vokalstimmen colla parte verstärken. Die Hinzufügung von colla parte geführten Bläserstimmen findet sich auch in Bachs Bearbeitung der sechsstimmigen „Missa sine nomine“ von giovanni Pierluigi Palestrina (1525–1594), die im original erstmals 1590 im Druck erschien. Von dieser Parodiemesse nach einem Madrigal von giovanni Leonardo Primavera besaß Bach einen Stimmensatz zum kom- pletten Messzyklus, von dem er wiederum nur das Kyrie und das gloria für den eigenen gebrauch bearbeitete. Denn nur für diese beiden Sätze fertigte sein Kopist Stimmen für zwei Cornetti und vier Posaunen, die zur Verstärkung mit den Singstimmen colla parte gehen. Bach selbst ergänzte als zeitgemäße stilistische anpassung drei Continuo-Stimmen für Violone, Cembalo und orgel als bezifferten Basso seguente, der immer der tiefsten Stimme folgt. Während Kantaten und Kyrie-gloria-Messen dem liturgischen rahmen der Hauptgottesdienste zuzuordnen sind, dienten Motetten zur musika- lischen gestaltung von besonderenanlässen wie geburtstagen, Trauungen und insbesondere von Begräbnis- und gedächtnisgottesdiensten. Bach schuf nur wenige Beiträge zu der gattung, die zu seiner Zeit bereits als antiquiert galt. Problematisch ist bei zwei der drei präsentierten Motetten die Überliefe- rungslage und damit auch die Zuschreibung zu Bach. Die Motette „Der gerechte kommt um“, für die die rein vokale Vorlage „Tristis est anima mea“ durch einen qualitativ hochwertigen orchestersatz für zwei oboen, Streichorchester und Continuo sowie ein instrumentales Vor- und Zwischenspiel ergänzt wurde, ist nur als erweiterungs-Satz für die Pas- sionskantate „ein Lämmlein geht“ von Carl Heinrich graun überliefert. Möglicherweise diente das Werk ursprünglich aber als Begräbnismotette, deren Vorlage lange Zeit Johann Kuhnau (1660–1722), Bachs Vorgänger als Thomaskantor, zugeschrieben wurde. unklarheit herrscht auch bzgl. der echtheit und der ursprünglichen Funk- tion bei der generalbassbegleiteten Motette „Lobet den Herrn, alle Heiden“ Giovanni Pierluigi da Palestrina Francesco Durante

RkJQdWJsaXNoZXIy OTM2NTI=