Tage Alter Musik – Programmheft 2018

51 T age a LTer M uSIK r egenSBurg Mai 2018 religiöse gedichte, Berichte über Wunder, ein Kalendarium, ein glaubens- bekenntnis usw. Berühmt ist es, weil es die notation (Worte und Musik) von neun Pilgerliedern enthält. Tatsächlich wurden in diesemManuskript Lobgesänge notiert, die unter den Pilgern von Monserrat zweifellos schon länger verbreitet waren und die sichtlich von mehrerenautoren mit unter- schiedlichem Stil stammen. unterschiedlich sind diese gesänge in der Sprache: zwei in okzitanisch, einer in Katalanisch – imMittelalter waren diese beiden Sprachen eng mit- einander verwandt –, die anderen sind in Latein verfasst. unterschiedlich sind auch die musikalischen genres: nur zwei gesänge ( Maria matrem und Imperayritz de la ciudad) zeigen den polyphonen Stil der ars nova . Die anderen sind im volkstümlichen Stil gehalten, manche davon mit einem refrain. Bemerkenswert ist der gregorianische Stil von O virgo splendens, Laudemus virginem und von Splendens ceptigera. Von einem zehn- ten Lied, Rosa plasent, ist dank einer Kopie der Text erhalten; Bruno Bon- houre hat dazu eine Melodie geschrieben. alle autoren heben die stilistische Heterogenität dieser gesänge hervor, deren einziger gemeinsamer Zweck der ist, den Pilger spirituell und stimmlich zu führen und unehrenhafte aktivitäten zu unterbinden, wie es der Text bezeugt, der im Kodex das Lied Stella splendens ankündigt: Wenn die Pilger in der Kirche der Heiligen Jungfrau wachen, wollen sie manch- mal singen und tanzen, ebenso tagsüber auf dem Vorplatz. An diesen Orten dürfen sie nur ehrenhafte und fromme Lieder singen: deshalb wurden einige davon hier vorausgehend und nachfolgend aufgeführt. Sie sollen ehrenhaft und dezent gesungen werden, damit die, die beten und in Kontemplation versunken sind, nicht gestört werden. So sind die meisten Lieder, deren Melodie erhalten ist, nicht direkt Volks- lieder, entsprechen aber doch dem volkstümlichen geschmack. In der Tat hatte die mittelalterliche Pilgerreise vor allem den Charakter eines Volks- festes und glich eher einem Kirchweihrummel als mystischer erhebung. Über den glauben hinaus, der die gemeinsame Kultur aller Pilger war, drücken diese gesänge die Freude darüber aus, zusammen zu sein und den Weg glücklich geschafft zu haben... Bei ihrer CD-aufnahme mit dem Jugendchor der Dordogne haben Bruno Bonhoure und Khaï-dong Luong den Charakter des Wechselgesangs der Lieder mit refrain bewahrt, der im übrigen bei Los set gotx explizit gewünscht wird, indem das Manuskript für diesen gesang fordert: ceteri respondeant (die anderen sollen antworten). Bei Polorum regina wird eine weitere Möglichkeit des responsoriums vorgeschlagen: die von Solist, Chor und Instrumenten. Stella splendens gehört zu dem Typ von gesängen, in denen ein eingängiger refrain und narrative Couplets des Solisten sich abwechseln. In den Cou- plets wird freudig die bunt zusammengewürfelte Menge beschrieben, die gekommen ist, um der Morena zu huldigen. allein Ad mortem festinamus ruft nicht die Jungfrau an, sondern erinnert die Sterblichen an ihre letzte Bestimmung. Die Interpretation von La Camera delle lacrime beschwört die Stimmung der Totentänze herauf, mit denen man seit dem ende des 14. Jahrhunderts die Kirchenwände zu schmücken begann. es wäre Verrat an den Liedern des Llibre vermell , wenn wir verheimlichen würden, dass sie seit jeher ein wesentliches element der katalanischen Identität waren und immer noch sind. um diesen aspekt besonders her- vorzuheben, beginnt das Konzert mit der katalanischen Version des Chant de la Sibylle aus dem 13. Jahrhundert. Dieses Lied gehört zur Weihnachs- liturgie und beschreibt die apoka- lyptische Prophezeiung der erythräischen Sibylle, einer Wahr- sagung, die von eusebius von Cae- sarea (um 265–339) niedergeschrie- ben und vom heiligen augustinus übernommen wurde. Inspiriert vom gleichen identitätsstiftenden geist der Katalanen ist die alte Ver- sion des Volkslieds Els segadors, einer Klage in erinnerung an die rebellion der Katalanen am 7. Juni 1640, als sie gezwungen wurden, die kastilischen Truppen aufzu- nehmen und zu verpflegen. eine moderne Version dieses Liedes, das unter der Franco-Diktatur verboten war, weil es den republikanischen Partisanen als Losung diente, wurde im Jahre 1993 die Hymne von Kata- lonien. © Didier Perre Akad. Rat für die Okzitanische Sprache, Le-Puy-en Velay, März 2014 Übersetzung: Christina Bergmann CD La Camera delle lacrime Le Livre Vermeil de Montserrat L e L IVre VerMeIL De M ontSerrAt Le chant de la Sibylle o Virgo splendens in monte Polorum regina Cuncti simus concanentes Imperayritz de la ciutat joyosa Stella splendens in monte Los set gotxs Mariam matrem virginem rosa Plasent, soleyl de resplandor Laudemus Virginem; Splendens ceptigera ad mortem festinamus La Camera delle Lacrime wird vom französischen Kulturministerium und von der Regionalregierung Auvergne-Rhône-Alpes unterstützt. Zwischen Clermont-Ferrand, der Hauptstadt der Auvergne und Regensburg besteht seit 1969 eine Städte-Partnerstadt. P roGrAMM L A C AMerA DeLLe L ACrIMe bruno bonhoure musikalische Leitung, Tenor Khaï-dong Luong künstlerische Leitung, Bühne Michèle Claude Perkussion Stéphanie Petibon Fidel & Tanbura Gayané Doneyan Blockflöte Clémence Montagne Sopran tiphaine Gauthier Blockflöte Andreas Linos Fidel A USFüHrenDe

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