Tage Alter Musik – Programmheft 2018

59 T age a LTer M uSIK r egenSBurg Mai 2018 Talent für Drama, Bewegung und Musik voll zum ausdruck bringen. Die opern der Barockzeit schöpften ihre Themen fast ausnahmslos aus der Mythologie, so auch „Scylla et glaucus“. Die geschichte spielt am Strand von Sizilien und erzählt von der Liebe zwischen der nymphe Scylla und dem Meeresgott glaucus. Scylla ist allgemein als Meeresungeheuer aus der odyssee bekannt, als nymphe, die in ein Monster verwandelt wurde. In Leclairs oper verzaubert die eifersüchtige Hexe Kirke Scylla allerdings nicht in ein ungeheuer, sondern in einen Stein. In den Stücken aus dieser oper, die wir jetzt hören, klingt aber nicht so sehr die Tragik durch, sondern vor allem Leclairs geniale orchestermusik. Besonders für die Streicher schreibt er dekorativ fließende, spannende Texturen, die wäh- rend der ausmalenden Zwischenspiele und Tanznummern die musikali- sche Macht übernehmen. Der Deutsche georg Philipp Telemann war einer der renommiertesten, produktivsten und vielseitigsten Komponisten seiner Zeit, und er konnte wie ein Chamäleon verschiedene nationale Stilrichtungen miteinander vereinen. er schrieb Hunderte von Konzerten für die verschiedensten Instrumente und Besetzungen und drückte mit seiner frischen Herange- hensweise den Trend seiner Zeit aus, das Streben nach frischer, leichter Melodik. Telemann verließ Deutschland nur gelegentlich, innerhalb des Landes aber reiste er umso mehr. Den größten Teil seines Lebens ver- brachte er in Hamburg, wo er im Jahr 1723 für die Hundertjahrfeier des Marinekorps ein maritim inspiriertes orchesterwerk im französischen Stil schrieb. Das Werk feiert die Hafenstadt mit bunt plätschernder Musik, bei der mythologische Meeresfiguren die Hauptrollen spielen: Thetis, die Tochter des Meeresgottes nereus, der Wassergott neptun und seine gemahlin amphitrite, deren Kinder, die fischschwänzigen Tritonen, aiolos, der gott der Winde, und Zephyr, der Herrscher über den Westwind. Die verschie- denen französischen Tänze zeichnen ein lebendiges Bild der verschiedenen geschöpfe. Telemann malt das Wasser durch breite, horizontale Linien und erzeugt so das gefühl, auf dem offenen Meer zu sein. In der ouvertüre lässt er die Instrumente das Meer zunächst als ruhige oberfläche zeichnen, die sich dann aber zu Schaumkronen und gischt aufpeitscht. am ende hört man schließlich die neue Flut aufsteigen, und die Matrosen freuen sich an Deck über die Seetüchtigkeit ihres Schiffes. © Auli Särkiö-Pitkänen Übersetzung: Roman Schatz Jean-Marie Leclair Telemann, Kupferstich von Georg Lichtensteger (um 1745). Hamburg 1682

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