Tage Alter Musik – Programmheft 2018

75 T age a LTer M uSIK r egenSBurg Mai 2018 Danilevskaia arbeitet mit Spezialisten-ensembles wie La Morra oder Cur- rentes zusammen, mit denen sie durch europa tourt und einspielungen für verschiedene Labels realisiert. Dabei ist sie als Begleitung der Sänger ebenso wie als Solistin zu hören. Mit dem Trio Qualia widmet sie sich der experimentellen Musik, die um 1500 entstand, und realisierte 2012 eine aufnahme für das Label Carpe Diem. Diese erhielt von der Kritik fünf Sterne in der Zeitschrift Diapason, vier imMagazin BBC Music sowie das Prädikat »Supersonic« der Zeitschrift Pizzicato. 2014 gründete anna Dani- levskaia das ensemble Sollazzo, in dem sie erstmals selbst die musikalische Leitung innehat. zum Programm: Florenz um 1350 Musik zur blütezeit des Humanismus Man sagt, an einem warmen Morgen im Jahre 1389 in jenem Florentiner garten, der den Beinamen „Il Paradiso“ trägt, habe der vielgerühmte Fran- cesco degli organi eine Herausforderung angenommen, mit dem Klang seiner orgel die Vögel zum Schweigen zu bringen. Der blinde Komponist und Multi-Instrumentalist war in der Stadt sowohl für sein Spiel als auch für seine rhetorische gewandtheit und seine philosophischen aussagen berühmt und sollte zusammen mit anderen Komponisten wie Lorenzo da Firenze, andrea Stefani und giovanni da Firenze die Musik ihrer Zeit zu hoher Kunst bringen. Im Zeitraum zwischen 1350 und 1400 gab es in Florenz eine kulturelle Blüte, die die italienische Kultur noch heute stark beeinflusst: der toska- nische Dialekt wird von den Poeten Dante, Petrarca und Bocaccio zur Kunstsprache erhoben, die florentinische gesellschaft war im allgemeinen außerordentlich gebildet - mehr als zwei Drittel der männlichen Bevölke- rung war des Lesens mächtig - und eine neue art der elite bildete sich aus Händlern mit internationalen geschäften und einer kulturell gebildeten Bourgeoisie. Das führte unter anderem zu einemaufschwung in der Pro- duktion von Manuskripten; nicht nur professionell angefertigte, reich ver- zierte und illuminierte Codices zählen dazu, sondern auch persönliche Sammlungen und notizbücher, sogenannte „zibaldoni“. Diesen entwick- lungen haben wir es zu verdanken, dass wir heute einen besonderen ein- blick in das florentinische Trecento, seine Literatur und Musik sowie das Verschmelzen dieser beiden Kunstgattungen haben. Für jegliche Form der Kunst spielte Florenz im vierzehnten Jahrhundert eine zentrale rolle: Künstler wie giotto di Bondone, andrea und Jacopo di Cione verhalfen dem neuen naturalismus zur Blüte; architekten und Bildhauer wie andrea Pisano und Francesco Talenti florierten; Dante, Petrarca und Boccaccio prägten durch die erhebung des toskanischen Volksidioms zur Kunstsprache die italienische Literatur bis heute. Musik machte in diesem Punkt keine ausnahme: es entwickelte sich eine einma- lige Virtuosität in der Verbindung von Poesie und Musik, die für den Stil der italienischen ars nova bezeichnend ist und ihr ihren Platz in den geschichtsbüchern eingeräumt hat. In vielen aspekten ist das Stück Godi Firençe ein ausnahmefall: in seiner Form als dreistimmiges Madrigal ist es bei Paolo da Firenze das einzige und bedient sich auch darüber hinaus auffällig oft dreifaltiger Motive und Strukturen. obwohl viele vertonte gedichte des Trecento auf Texte Dantes anspielen, sind direkte Zitate eine echte Seltenheit; in diesem Fall ist das erste Terzetto fast wörtlich der Divina Commedia entnommen. Dort wird Florenz jedoch bitter höhnend beschrieben, während in Godi Firençe diese Zeilen Teil einer Hymne des Sieges über die Stadt Pisa werden. Der erste Teil des Konzertes ist zwei bedeutenden Komponisten dieser epoche gewidmet: Paolo da Firenze und Francesco degli organi, genannt „Landini“. Sie sind die meist überlieferten italienischen Komponisten ihrer Zeit, von denen uns eine Fülle von Stücken bekannt ist, und sie verbindet ein wichtiges Merkmal: die Mischung von Tradition und Innovation in ihrem Stil. Während Landini zuweilen die Musik guillaume de Machauts zitiert und imitiert und Paolo elemente der experimentellen ars subtilior einsetzt, tendieren sie beide dazu, dies mit einfacheren elementen des Tre- cento zu verbinden, und schaffen so eine einmalige Balance zwischen rafi- nesse und Schlichtheit. Anna Danilevskaia Foto: elam rotem Florenz 1493 aus Hartmann Schedels Weltchronik (Nürnberg 1493) John Melhuish Strudwick (1849-1935) The music of a bygone age

RkJQdWJsaXNoZXIy OTM2NTI=