Tage Alter Musik – Programmheft 2018

79 T age a LTer M uSIK r egenSBurg Mai 2018 Instrumente übertragen werden und wurden dann gegebenenfalls adap- tiert; bei der Übertragung auf ein kleineres ensemble konnten Stimmen wegfallen, während im umgekehrten Fall neue Stimmen erarbeitet und integriert werden mussten. Die Frage nach einer originalbesetzung – wie sie für heutige Musikkenner und -liebhaber von großem Interesse ist – scheint keine große rolle gespielt zu haben oder jedenfalls eine weit gerin- gere als die angemessene reaktion auf die tatsächlichen aufführungsbe- dingungen. Diese Flexibilität in Sachen Besetzung gehörte zumMusizieren dieser Zeit dazu. auch in Bachs Schaffen finden sich zahlreiche Be- und umarbeitungen fremder und eigener Werke. Im Bereich der Instrumentalmusik etwa besteht insbesondere das überlieferte Konzertschaffen Bachs zu einem guten Teil aus Bearbeitungen, von denen die originalwerke meist nicht mehr erhalten sind. In solchen Fällen gehört es zu den aufgaben der Bach- Forschung, mit verschiedensten Methoden Hinweise auf die originalbe- setzung zu sammeln und diese womöglich sogar zu rekonstruieren. Schwierig und gleichzeitig spannend wird diese aufgabe dadurch, dass Bach derartige umarbeitungen selten als mechanische Übertragungsar- beiten ausführte, sondern klangliche und idiomatische angleichungen an die Zielbesetzung vornahm, so dass die neuarrangements mehr waren als notenidentische Übertragungen in neue Klangfarben. Wann diese Kompositionen entstanden – ob nun originalversion oder umarbeitung – lässt sich typischerweise nur schwer und unter Vorbehalten ermitteln, wobei häufig auf die prekäre Methode des Stilvergleichs zurück- gegriffen werden muss. anders als bei den meisten Vokalkompositionen lassen sich aus dem Werk selbst deutliche Hinweise auf anlass und zeit- lichen Bezug der Werke selten heraus- lesen. Sie entstanden nicht zu Festtagen oder singulären Bege- benheiten, die ander- weitig dokumentiert wären. auch Veröf- fentlichungen im Druck, durch die Musikwissenschaftler allerlei weitere anhaltspunkte gewinnen könnten, waren für diese Werke meist nicht vorgesehen. So bleibt in vielen Fällen nur die Möglichkeit gro- ber und bisweilen nach wie vor umstrit- tener zeitlicher ein- ordnungen. Die ent- scheidung etwa, ob einzelne Werke noch in Bachs Weimarer Zeit (1708–1717), an seiner darauf folgenden Station in Köthen (1717–1723) oder sogar erst in Leipzig ent- standen sind, ist gegenstand zahlreicher Fachdiskussionen. Klar ist immer- hin, für welche Institutionen Bach jeweils Instrumentalwerke zu kompo- nieren hatte: In Weimar und vor allem Köthen verlangte die standesge- mäße Hofhaltung die regelmäßige aufführung anregender und unterhal- tender ensemblemusik. In Leipzig wiederum, wo Bach nicht in aristokra- tischen Diensten stand, war das Collegium musicum für gewöhnlich der adressat von Instrumentalkompositionen. Leipzig verfügte seit dem ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts über zwei derartige ensembles, die haupt- sächlich oder sogar vollständig aus Studenten bestanden. Das ältere der beiden ensembles hatte georg Philipp Telemann während seiner eigenen Studienzeit gegründet. als Bach nach Leipzig kam, lag die Leitung des Telemann’schen Collegiums in den Händen des organisten der neukirche, georg Balthasar Schott. Bei dessen Weggang 1729 nach gotha ging die ensembleleitung – höchstwahrscheinlich auf Bachs eigenes Betreiben hin – nicht auf Schotts amtsnachfolger über, sondern auf Bach selbst, der diese Funktion bis 1737 behielt und auch danach noch phasenweise übernahm. Das studentische Collegium musicum hatte feste wöchentliche Termine, zu denen es in den Kaffeehäusern des unternehmers gottfried Zimmer- mann bei vermutlich freiem eintritt konzertierte. Konkrete Programme dieser aufführungen sind nicht erhalten, jedoch ist davon auszugehen, dass sie aus Werken diverser zeitgenössischer Komponisten und solcher der jüngeren Vergangenheit bestanden, die für gewöhnlich vom Blatt gespielt wurden. Hinzu kamen Werke, die Bach teils neu komponiert, teils von früheren Stationen nach Leipzig mitgebracht und hier gegebenenfalls umgearbeitet hatte. Beim Cembalokonzert in A-Dur BWV 1055, das sich auf dem Konzertpro- gramm des ensemble Baroque atlantique findet, könnte es sich um ein Beispiel einer solchen Übertragung für das Collegium musicum handeln. es gehört zu einer gruppe von sechs Cembalokonzerten (BWV 1052–1057), von denen sich fünf durch erhaltene Vorversionen als Bearbeitungen ursprünglich anders besetzter Kompositionen identifizieren lassen. Zu BWV 1055 gibt es eine derartige Vorlage nicht mehr, jedoch wird die Beset- zung für Solo-Cembalo, Streicher und generalbass wegen der Zugehörig- keit zur Sammlung und der aufschlussreichen einrichtung des überliefer- ten Partiturautographs nicht als originalversion des Werkes angesehen. es gilt als sicher, dass Bach ursprünglich eine oboe d’amore oder auch Viola d’amore als Soloinstrument eingesetzt hatte. aber weder in dieser Version noch in jener für Solo-Cembalo wird das a-Dur-Konzert zu hören Louis Creac’h Guillaume Rebinguet Sudre Diana Lee & Simon Pierre Foto: Phil roulaud J.S.Bach

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