Tage Alter Musik – Programmheft 2019

Seit drei Jahren gibt es einen englischen Chor, der es spielend mit „The Sixteen“, den „Tallis Scholars“ oder „Tenebrae“ aufnehmen kann: die ORA Singers. Die Gründerin Suzi Digby, Officer of the British Empire, hat es sich zur Aufgabe gemacht, in zehn Jahren 100 neue Werke bei zeitgenössischen Komponisten in Auftrag zu geben und Werken der Renaissance gegenüberzustellen. Sie ist fest davon überzeugt, dass wir in einem „neuen goldenen Zeitalter der Chormusik“ leben. Wer ihre Aufnahmen hört, kann ihr nur beipflichten. Kai Luehrs-Kaiser traf die ebenso geistreiche wie schlagfertige Chordirigentin zum Gespräch in Ber- lin. Frau Digby, Ihr preisgekrönter Chor verfügt nicht einmal über einen eigenen Wikipedia-eintrag. nach heutigen Maßstäben existiert er kaum!? Da haben Sie uns aber erwischt. Das muss sich ändern. Die erklärung ist allerdings simpel: Uns gibt es eben erst drei Jahre. So schnell ist das Internet nicht. (Lacht.) Was bedeutet der name: „orA Singers“? Da kommt kein Mensch drauf! Ich zermarterte mir das Hirn auf der Suche nach einem namen. Da gab mir mein Mann den Rat: „Halt’ einfach deine augen offen!“ Ich sah mir gerade eine ausgabe der „Vogue“ an. ein Mode- magazin! Da war Rita ora auf dem Cover abgebildet, ein Flüchtling aus dem Kosovo. Sie hat inzwischen eine Karriere als Model und als Pop-Sän- gerin gemacht. Ich dachte mir: gar nicht schlecht. Dabei ist es geblieben. Sie singen renaissance-Musik und Werke der Gegenwart. Warum gerade diese Kombination? Weil es schon in der Renaissance, also bei William Byrd, Thomas Tallis und orlando gibbons einen sehr freien Umgang mit der Tonalität und der Chromatik gab. Die Ähnlichkeiten zu heute sind erstaunlich. außer- dem denke ich, dass wir gegenwärtig in einem goldenen Zeitalter der Chormusik leben. Beides waren oder sind elisabethanische Zeitalter. Inzwi- schen haben auch viele Komponisten wieder genug Selbstbewusstsein, um nicht nur experimentell zu schreiben. Das Publikum folgt ihnen umso lieber. Wir müssen sie unterstützen. Warum meiden Sie die barock-Musik? Sie ist zu kostspielig. Und sie hat kaum unbegleitete Musik. Wir singen doch schließlich a cappella. Heutigen Komponisten stelle ich es manchmal frei, ein Instrument einzubeziehen, etwa das Schlagzeug, die oboe oder einen Kontrabass. Ich muss an die Kosten denken. Barock ist teuer. Ihr Kammerchor besteht aus 18 professionellen Sängern. Warum genau diese zahl? Von der Renaissance bis zur gegenwart kommt man mit dieser Besetzung ideal zurecht. Bei Bedarf kann ich den Chor ergänzen. Die Londoner Szene ist so reichhaltig, dass ich die gruppe von Fall zu Fall leicht verstärken kann. Das geht, glaube ich, sogar nur in London. nicht in Paris und nicht in Berlin gäbe es ein so reichhaltiges angebot freischaffender professio- neller Sänger. es ist ausdruck der großen Chortradition in großbritannien. auch in Frankreich gab es sie einmal. aber nur bis zur Revolution, da ist sie abgebrochen. Spiegelt sich in Ihrer Arbeit eine einheitliche stilistische tradition Groß- britanniens? Das glaube ich schon. Ich bin überall auf der Welt herumgefahren, inasien, afrika, in amerika und in osteuropa. Ich habe festgestellt, dass zum Bei- spiel auch die asiatischen Chöre aus einer sehr starken Tradition kommen. nur sind sie vielleicht etwas weniger vielseitig. Die anglikanische Tradi- tion, in der auch zahlreiche College-Chöre verwurzelt sind, ist ideal für die Beschäftigung mit jederlei Repertoire zumindest der europäischen Tra- ditionen. Uns liegt’s im Blut. Klar ist dabei, dass britische Chöre, auch die oRa-Singers, anders klingen und andere Stilmerkmale haben als andere Chöre auf der Welt. Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben? Unser Sound ist von der Basis, von den tiefen Registern her bestimmt. Wir denken „von unten“! Mit anderen Worten: Mir ist es immer wichtig, den Bass gut hören zu können. er liefert das Fundament. Und garantiert auch einen gewissen Zusammenklang. Zum Teil mag das meinen eigenen, per- sönlichen Vorlieben entsprechen. Ich mag eben nicht von obertönen umge- blasen werden. entscheidend ist, dass man jederzeit die klangliche Mischung ändern kann. Das geschieht mittels der Bässe. Wo singen Ihre Sänger sonst? Tatsächlich wäre es kaummehr als ein Wunschtraum, die Sänger exklusiv für uns singen zu lassen. In Wirklichkeit speist sich der Chor aus einem Sänger-Pool, von denen einige auch im Monteverdi Choir von John eliot gardiner, bei den Tallis Scholars oder bei Harry Christophers singen. Sie sind gesucht und sehr gut gebucht. Sänger, die ich brauchen kann, verfü- gen nicht nur über spezielle klangliche Qualitäten, sondern vor allem über die richtige Wandlungsfähigkeit und stilistische Versatilität. Sie müssen gute Blattleser sein. Die Zeit, die wir für Proben zur Verfügung haben, ist leider gottes sehr begrenzt. Konzerte geben Sie nur wenige. Ist es nicht schwierig, das niveau zu halten, wenn man den Chor nur relativ selten zusammenruft? Wir sind primär ein Schallplatten-Chor, das stimmt, und geben verhält- nismäßig wenige Konzerte. In nächster Zeit sind es drei. Zwar ist für die nächste Saison eine Tour in die USa und nach Deutschland geplant, unter anderem nach Regensburg. generell treffen wir uns aber nur fünf Mal pro Jahr für intensive Probenblocks. Wir müssen niemals von vorne anfangen. Und das hat natürlich damit zu tun, dass freiberufliche Sänger, anders als festangestellte, eine ganz andere Flexibilität entwickelt haben, um sich in 20 T age a LTeR M USIK R egenSBURg Konzert 2 Interview mit Suzi Digby Gründerin und Leiterin der ORA Singers Suzi Digby Foto: oRa Singers

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