Tage Alter Musik – Programmheft 2019

29 T age a LTeR M USIK R egenSBURg Konzert 4 Johann Sebastian bach Bach, Bach ... der allgegenwärtige Bach! Das Cembalo-Konzert in F-Dur, BWV 1057, ist J. S. Bachs Vorbereitung seines Vierten Brandenburgischen Konzerts. Darin macht er das Cembalo zum Mittelpunkt eines der anspruchsvollsten Instrumentalkonzerte. Über seine gründe dafür, die Partitur einen Ton tiefer (von g-Dur aus) zu transponieren, kann man sicherlich diskutieren, aber für uns Blockflötenspieler ist es eine Wohltat: In der originalversion gibt es einige hohe noten, die in F-Dur ganz einfach leichter zu spielen sind. obwohl diese Version ein Solokonzert ist, sind die Begleitinstrumente weitgehend in die Partitur einbezogen. Bach teilt sein orchester in gruppen ein, die auf verschiedene Weise mit dem Solis- ten interagieren: Zeitweise ist es nur der generalbass, aber ebenso oft bekommen die Blockflöten ihre eigenen, solistischen Passagen – oder er lässt das Cembalo nur mit Streichern spielen. Die Stimmführung ist sehr ausgewogen, gleichwohl stehen einige Züge in bemerkenswertem gegen- satz hierzu. So gibt es im eröffnungs-Tutti eine Vielzahl schneller Läufe, aber auch lange ausgehaltene Töne in der ersten Blockflöte, danach im Cembalo (als Triller), dann in der zweiten Blockflöte und zuletzt wieder im Cembalo. Dies mag wie ein unbedeutendes Detail erscheinen, doch später im Satz wird das Konzept eines Brummens (ein lang ausgehaltener Ton) entscheidend, weil es sich zu einer wachsenden Bedrohung für den spielerischen, lebhaften Kontrapunkt entwickelt. Diese Passagen im Solo- Teil sind für die beiden ecksätze ganz charakteristisch: Der Klang scheint unschlüssig zu schweben, während die Melodielinie ihren eigenen geset- zen folgt, ohne auf den harmonischen gang der Dinge vollkommen abge- stimmt zu sein. Hierin liegt ein großer eigenwille, der einen auffälligen gegensatz zu dem ansonsten äußerst systematischen Stil bildet: Der Solist nimmt sich Freiheiten heraus, die nicht dem gesamtcharakter der Musik entsprechen. Das ist zwar kein einzelfall in Bachs Werk, aber es muss her- vorgehoben werden, denn seine rhetorische Bedeutung ist klar: als Solist bin ich (Bach) nicht der, für den ihr mich haltet… Der zweite Satz, andante, ist ein nachdenklicher Kommentar zum Vor- angegangenen. Voller musikalischer Seufzer und Chromatik wirkt er wie eine Miniaturpassion, die uns von Spiel und Spaß zu einer Leidensge- schichte und einem bedrückenden gang durch das menschliche Leben wegführt. gleichzeitig bildet er einen starken Kontrast zu dem magisch- spielerischen Kontrapunkt des dritten Satzes. Dessen Hauptthema besteht aus neun noten, die vorwärts wie rückwärts gespielt identisch sind – ein Palindrom. Seine Bedeutung verändert sich nicht mit der jeweiligen Per- spektive und kommt damit einer ewigen Wahrheit so nahe, wie man sie in der Musik erreichen kann. Der Kontrapunkt wirkt in gleicher Weise als Tragödie, wie aristoteles sie beschrieb: Wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, entsteht Kunst. Bei Bach spiegelt die Fuge unmittelbar seinen religiösen glauben wider: seine Botschaft lässt keinen Konflikt, keinen Widerspruch, keinen Zweifel zu. Die antworten auf all unsere Fragen nach dem Sinn des Lebens sind in der Welt der Ideen zu finden: nur dort kann die Unvorhersehbarkeit der gefühle durch die Vernunft unter Kon- trolle gehalten werden. andererseits stellt die Konzertform offensichtlich ein Konfliktpotential dar, weswegen eine rhetorische Haltung notwendig ist, um die erzählerische unter Kontrolle zu halten. Im abschließenden allegro assai verbindet Bach den Kontrapunkt eng mit dem konfliktreichen Diskurs des Solospiels – mit hochdramatischen ergeb- nissen: Was wir hören, ist ein wahrer Kampf zwischen Vernunft und gefühl wie der zwischen dem ersten und dem zweiten Streithahn [Streit zwischen dem Vertreter der „prima pratica“ (Polyphonie) Artusi und demAnhän- ger der „seconda pratica“ (Monodie, Textverständlichkeit) Monteverdi] des Früh- barock, zwischen dem Licht und der Finsternis des Helldunkel. Dies ist wirklich das Leitmotiv des Barock im wahrsten Sinne des Wortes: Welche Rolle dürfen gefühle im menschlichen Leben spielen? Arcangelo Corelli Corelli gelang es ungewöhnlich gut, Interesse für seine Musik zu wecken – nicht, weil er ein in jeder Hinsicht besonders gewiefter geschäftsmann gewe- sen zu sein scheint, sondern weil er es in all seinen Werken verstand, neue Ideen wundervoll mit einem klassischen gleichgewicht von Vernunft und gefühl zu verbinden. obgleich seine Musik von Zuhörern wieaufführenden gleichermaßen mit Begeisterung aufgenommen wurde, ist es doch überra- schend, wie wenig über das Leben dieses meisterhaften Komponisten bekannt ist. Mittlerweile steht jedemVersuch, eine glaubwürdige Biographie von ihm zu rekonstruieren, eine Vielzahl vonanekdoten undMutmaßungen imWege, Ensemble 1700 Lund (Schweden), St.-Oswald-Kirche 2012

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