Tage Alter Musik – Programmheft 2020

T age a LTeR M uSIK R egenSBuRg Konzert 2 natio . Der Text stellt eine art intellektuelles Spiel dar, das Parallelen zwi- schen lateinischer grammatik und theologischen gedanken entfaltet. Karl und die höfische Lyrik Die böhmische höfische Lyrik des 14. Jahrhunderts knüpfte an die Tradi- tion des deutschen Minnesangs an, der bereits zur Zeit der letzten Přemysliden nach Böhmen vorgedrungen war. aus diesemMilieu stammte der Meistersinger Mülich von Prag , der hier offenbar ebenfalls wirkte. außer seiner Herkunft ist aber nur wenig über ihn bekannt. Seine aktive Zeit muss eher in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert werden. In Karls Regierungszeit erscheinen gleichfalls erstmals lyrische Formen in tschechischer Sprache. Zu den anmutigsten Beispielen dieser Werke gehört ohne Zweifel der Leich Otep myrhy ( Ein Bündel Myrrhe ). Sein Text para- phrasiert Bilder aus dem biblischen Hohelied und kann daher sowohl auf weltlicher als auch auf geistlicher ebene interpretiert werden. Die Rolle der jungen Frau, die sich an ihren Liebsten richtet, konnte auch als die Stimme der menschlichen Seele verstanden werden, die sich an Christus wendet. Das Lied Dřěvo se listem odiévá ( Der Baum belaubt sich mit Blättern ) knüpft offensichtlich an höfische Vorlagen an – der Dichter ruft zum abschluss die anwesenden Jungfrauen und Frauen auf, aus ihrem Kreis den Liebhaber auszuschließen, der durch Prahlerei gegen die verbindliche Diskretion der höfischen Liebe verstößt. Karl und die slawische Liturgie Karl IV. gründete 1347 in der Prager neustadt ein emmaus-Kloster, dessen aufgabe es war, das slawische Schrifttum und die Liturgie in slawischer Sprache zu pflegen. Zu diesem Zweck wurden Benediktiner-Mönche von der nördlichen kroatischen Küste nach Böhmen eingeladen. Über den umfang des Musikrepertoires konnten bisher jedoch keine Schlussfolge- rungen gezogen werden. Der Fund einiger Fragmente, die in der Ljubljaner nationalbibliothek entdeckt worden sind, hat aus dieser Perspektive einen einzigartigen Charakter. Diese Fragmente stammen, wie sehr überzeugend nachgewiesen werden konnte, aus dem emmaus-Milieu. Sie beinhalten u.a. einen Alleluia -gesang, geschrieben in Choralnotation und unterlegt mit einem slawischen Text in glagolitischer Schrift. Dieser gesang ist also der einzige aus dem emmaus-Repertoire, der in gänze erhalten geblieben ist und der nach vielen Jahrhunderten im heutigen Konzert wieder erklingt. Der dem emmaus-Kloster gewid- mete Teil wurde um eine Lesung in Kirchenslawisch nach einer ande- ren bedeutenden emmaus-Quelle ergänzt: dem sog. evangeliar von reims . Dieses in kyrillischer Schrift geschriebene Manuskript aus dem 11. Jahrhundert wurde dem Kloster direkt von Karl IV. in der Überzeugung gewidmet, es handele sich um eine Handschrift, die direkt vom Heiligen Prokop, dem gründer des Kloster Sázava, geschrieben wurde. Das Programm enthält auch mehr- stimmige Kompositionen mit marianischer Thematik, die den einfluss der französischen Ars nova auf die böhmischen Kompositionen belegen. es sind einerseits die Lieder Stola Iacob und Que est ista, andererseits die ein- fallsreiche dreistimmige Motette Ave coronata. Den Abschluss des Konzerts bildet das osterrepertoire mit seiner aufer- stehungsthematik. Während wir dem Lied Christ ist erstanden zuhören, können wir an einen Satz aus Karls autobiographie denken, der die geist- liche ausrichtung seiner Persönlichkeit treffend ausdrückt: „Das ewige Leben ist das Licht des Menschen.“ © David Eben Karl IV. auf dem Votivbild des Prager Erzbischofs Johann Očko von Wlaschim, um 1370 ! Die Schola Gregoriana Pragensis, Leitung David Eben, im Jahr 2000 im Domkreuzgang CD: Schola Gregoriana Pragensis – Carolus IV 12

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