Tage Alter Musik – Programmheft 2020

17 T age a LTeR M uSIK R egenSBuRg Konzert 3 enden, also mit dem Satz, der allegorisch für die unbeflecktheit der Jung- frau steht. Dem Kyrie Qui de stirpe regia liegt eine Bearbeitung eines Marientextes zugrunde, der auf das 12. Jahrhundert zurückgeht. Die sehr genaue niederschrift im Manuskript gibt Wiederholungen der polyphonen Teile in verschiedenen Tempi an, was wahrscheinlich auf eine Alternatim -Praxis hinweist, bei der sich mehrere gruppen von Musikern abwechseln. Die Kompositionsweise lässt große melodische Meisterschaft sowie einen sehr reinen Kontrapunkt erkennen. ein ähnlicher Stil ist im dreistimmigen Kyrie im lydischen Modus zu finden, dessen Melodiematerial an zeitgenössische Chansons erinnert. Das Sanctus Admirabilis splendor und das Agnus Dei gehören zum selben Zyklus und verwenden daher die gleichen melodi- schen elemente wieder, doch kommt eine vierte Stimme hinzu, um das kontrapunktische gewebe zu vervollständigen. ebenso wie beim vierstim- migen Magnificat ist es offensichtlich, dass die Teile dieser Messe direkt vierstimmig konzipiert wurden und das – um 1400 noch mögliche – erset- zen einer Stimme durch eine andere nicht mehr üblich war. einige der Tropen des Sanctus Admirabilis splendor sind zweistimmig geschrieben und haben den Vermerk „unus“, um den gegensatz zu den vierstimmigen abschnitten hervorzuheben, die mit „chorus“ bezeichnet sind. Die häufigen angaben „chorus“ und „unus“ sind charakteristisch für den Kopisten von Q15, stammen aber nicht unbedingt vom autor. Die Hymne Magne dies letitie für den heiligen Petrus Martyr von Verona ist vom Zyklus der Hym- nen des Manuskripts Q15 getrennt. Sie baut auf dem Alternatim- Prin- zip zwischen monodischem gesang und dreistimmiger Poly- phonie auf. Lymburgia hinterließ uns zwei polyphone Fassungen davon, die die Choralmelodie in der oberstimme paraphrasieren. Hier wird zuerst die dreistimmige Fassung präsentiert, die ein sehr dichtes gewebe aufweist und die melodischen und rhythmischen Mittel des Contratenors zum Äußersten treibt, um ihn an den Tenor anzupassen. Die zweite Fas- sung, die wir hier in der letzten Strophe verwenden, ist ein Fauxbourdon . Von diesen Fortschreitungen in parallelen Sexten und Terzen zwischen den Stimmen machte die englische Musik rund um 1400 häufig gebrauch. Sie sollen beim Konzil von Kon- stanz (1414–1418) in der europäischen Musikwelt verbreitet worden sein. In Christe redemptor omnia setzt Lymburgia den ambrosianischen Cantus firmus in den Tenor und schlägt verschiedene polyphone Fassungen vor, die auf die sieben Strophen dieser weihnachtlichen Vesper-Hymne aufge- teilt sind. Da verschiedene Taktzeichen ( perfectum diminutum , imperfectum diminutum , perfectum ) und verschiedene polyphone Behandlungen abwech- seln, inspirierte uns dieses Stück zu instrumentalen Diminutionen im Stil des Codex Faenza, der um 1420 in norditalien zusammengestellt wurde. Zusätzlich zu den Motetten, Hymnen, antiphonen und Messteilen hinter- ließ uns Johannes de Lymburgia sehr schöne Beispiele für den strophischen gesang in lateinischer Sprache in Zusammenhang mit der italienischen Tradition der Laude . Der Kopist des Manuskripts Q 15 nutzte diese Stücke, die nicht viel Platz brauchten, um die in seinem Layout von den längeren Stücken freigelassenen Stellen zu füllen. Recordare frater pie setzt einen Text für die Passionszeit in Musik und baut auf dem Prinzip der abwechslung zwischen Strophen und Refrain auf. Wieder gab der Kopist genau den unterschied zwischen den (zweistimmigen) Strophen und den (dreistim- migen) Refrains an. Das Manuskript Q 15 ist eine äußerst wichtige Quelle für unsere Kenntnis der Musik aus nordeu- ropa, Venezien oder england, die im nordöstlichen Italien zu Beginn des 15. Jahrhunderts im umlauf war. es hat für die geistliche Musik die gleiche Bedeutung wie der oxford-Codex (MS Canon. Misc. 213) für das burgundische Lied. Die Musik von Johannes de Lym- burgia nimmt in diesem Repertoire eine zentrale Stelle zwischen Johannes Ciconia und guillaume Dufay ein. Selten geriet ein Kom- ponist dieser generation, der so viel Musik hinterließ, derart in Verges- senheit, doch das vorliegende Programm ist ein erster Schritt hin zu seiner Wiederentdeckung und Rehabilitierung. © Baptiste Romain Übersetzung: Marc Lewon CD: Le Miroir de Musique – Johannes de Lymburgia – Gaude, felix Padua J ohAnnes De L yMbUrGIA ( CA . 1380- CA . 1440) – „G AUDe , FeLIx P ADUA “ M otetten , h yMnen , L AUDe , M essesätze J ohAnnes De L yMbUrGIA Tota pulcra es gaude, felix Padua Recordare, Virgo mater Descendi in ortum meum (instrumental) Magne dies leticie Recordare frater pie A nonyM „Tenor“ La belle se siet au pied de la tour (instrumental) J ohAnnes De L yMbUrGIA Virginis proles Kyrie „Qui de stirpe regia“ Kyrie eleison (instrumental) Sanctus „admirabilis splendor“ agnus Dei nach A rnoLD De L AntIns (vor 1420- vor dem 2. Juli 1432) amour servir et honnourer – basse danse & quaternaria J ohAnnes De L yMbUrGIA Magnificat (octavi toni) P roGrAMM L e M IroIr De M UsIQUe baptiste romain Vielle, Rebec, Bariton & Leitung emily Grace newcombe Sopran, Clavicymbalum roman Melish Altus Jacob Lawrence Tenor Uri smilansky Vielle A UsFührenDe Junger Mann mit Lira da Braccio (ca. 1510/20), unbekannt, Italien (Florenz?)

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