Tage Alter Musik – Programmheft 2020

22 T age a LTeR M uSIK R egenSBuRg Konzert 4 Herr Brautigam, Sie sind einer der wenigen international renommierten modernen Pianisten, die auch Fortepiano spielen. Oder inzwischen muss man vielleicht eher sagen: einer der wenigen international renommierten Fortepianisten, die auch modernen Flügel spielen… Wie kam es dazu? nun, ich habe als moderner Pianist in amsterdam am Konservatorium angefangen, bin dann nach amerika gegangen, aber hatte schon immer ein enormes Interesse und auch eine gewisse Vorliebe für die Wiener Klassik. und irgendwann fiel mir auf, dass es immer mühsamer wurde, beispielsweise eine Mozartsonate auf einemmodernen Flügel zu spielen – ohne dass ich doch wusste, woran genau das nun lag: an der Musik, an meinem Spiel? eines schönen Tages landete ich dann rein zufällig in amsterdam bei dem Hammerklavierbauer Paul Mcnulty, der damals noch in amsterdam lebte. Ich kannte ihn vorher nicht, sondern ich kam einfach am Schaufenster seiner Werkstatt vorbei, hinter dem er saß und ein Fortepiano stimmte. Ich ging spontan hinein, wir kamen ins gespräch und ich habe auch ein bisschen auf dem Instrument gespielt – und in diesem Moment wurde mir klar, dass es nicht so sehr mein Spiel oder die Musik war, sondern das Instrument, das im Weg stand, ein bisschen störte. und so habe ich angefangen, auf diesen alten Instrumenten zu spielen. Was sind die Vorteile beider Instrumente für Sie? naja, der große Vorteil eines modernen Flügels ist, – und das gilt eigentlich nur für Klavierkonzerte –, dass man leiser spielen kann als auf einem Fort- epiano. Denn auf demHammerflügel ist es harte arbeit, wenn man gehört werden möchte – da gibt es immer ein Balanceproblem, auf jeden Fall bei Beethoven-Klavierkonzerten. und irgendwann kommt man dann eben an den Punkt, dass man an so einem leichten, zarten Instrument sitzt und entsetzlich laut spielt, einfach um durchzudringen. Bei einem modernen Flügel dagegen kann ich das gegenteil tun: so leicht, so leise wie möglich spielen, und trotzdem bin ich noch hörbar. es ist also ein anderer aus- gangspunkt, den man da hat. Aber warum ist das so: eigentlich sollte man doch meinen, dass Beethoven schon wusste, was er da schreibt und wie groß sein Orchester, wie laut der Flügel ist, damit eine optimale Balance rauskommt? Ja, das sollte man meinen – aber natürlich war er bei den späteren, beim vierten und fünften Klavierkonzert auch schon ziemlich taub und konnte es deshalb vielleicht nicht mehr so gut kontrollieren. es gibt da so eine geschichte, dass Czerny eingeladen wurde, Beethovens viertes Klavier- konzert zu spielen, und er sagte: nein, das mache ich nicht, denn man hört mich ja doch nicht! Das Problem bestand also damals wohl auch schon. und wenn man sich vorstellt, wie Mozart selbst damals im Prater Freiluftkonzerte spielte, mit so einem kleinen Walter-Flügel... – das sind herrliche Instrumente, aber man sollte sie nicht im Freien spielen, denn dann hört man sie einfach nicht mehr! aber ich denke, damals ging es einfach mehr um das Spekta- kel, das event, und natürlich saß er da auch nicht nur als Pianist, sondern auch als Komponist. es gab also doch sehr viel von Mozart zu genießen, aber ich vermute, dass das qua akustik und Balance nicht so eine sehr glückliche Kombination war (lacht)! aber gut, das ist das, was wir heute ja auch kennen: diese spektakulären Freiluftkonzerte, bei denen man die Musik eigentlich nicht besonders gut hört. Interview mit ronald brautigam

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