Tage Alter Musik – Programmheft 2020

23 T age a LTeR M uSIK R egenSBuRg Konzert 4 Aber wie ist das bei Mozart-Klavier- konzerten: da finden Sie die Balance zwischen Fortepiano und Orchester nicht so schwierig wie bei Beethoven? Mozart war, was das betraf, viel- leicht noch ein bisschen schlauer als Beethoven, denn wenn das Fortepiano in seinen Klavierkon- zerten etwas Wichtiges zu sagen hat, dann hört das orchester mehr oder weniger auf zu spielen, es ist dann nur sehr wenig Begleitung dabei. und im gegenzug ist das, was das Fortepiano spielt, wenn viel orchester dabei ist, auch nicht so wichtig, sondern eher eine art Continuo-Spiel. aber da geht es natürlich auch um eine Philoso- phie: wir sind durch CD-aufnah- men inzwischen so sehr daran gewöhnt, jede einzelne note einer geige oder eines Fortepianos zu hören – aber gehen Sie mal live in ein Violinkonzert, da vernimmt man eben auch nicht jeden einzel- nen Ton! Das ist einfach so in einem Konzertsaal. und es war früher natürlich auch so, und deswegen denke ich auch, dass viele Dinge in der Musik viel weniger wichtig sind, als wir uns das immer vorstellen. gerade bei Mozart: wenn es da eine Begleitung gibt, dann ist das, als würde ein guter Continuo-Spieler eine art harmonisches und rhythmisches Füllmaterial zur Melodie hinzufügen. Da muss man dann auch nicht jede note glasklar hören, im Konzert. Wie war das, als Sie mit dem Fortepiano anfingen: haben Sie da noch modernes Klavier studiert, waren Sie da noch bei Rudolf Serkin oder einem anderen Lehrer? Und was haben die modernen Klavierlehrer oder Ihre modernen Kollegen dazu gesagt? nein, damals hatte ich schon keinen unterricht mehr. Dem Fortepiano bin ich erst ein paar Jahre, nachdem ich bei Rudolf Serkin studiert hatte, begeg- net. und es war schon so, dass zum Beispiel Leiter moderner orchester in Holland auf mich zukamen und sagten: oh, das solltest du nicht machen, denn dann wirst du nie mehr als moderner Pianist eingeladen; du bekommst so einen alte-Musik-Stempel, und das wird dir schaden. Genau, das meinte ich: ein Fortepiano hatte damals ja nicht den Ruf, ein ernsthaftes Instrument zu sein, und es war so links, so alternativ... Ja, das war tatsächlich so (lacht)! aber ich bin trotzdem schrecklich froh, dass ich damals diesen Schritt gewagt habe, denn irgendwann geht es natürlich wirklich nur um die Musik. und ob man nun auf einem braunen oder auf einem schwarzen Flügel spielt, ist wichtig – aber es ist nicht das Wichtigste überhaupt. außerdem war es ja so, dass in dieser Zeit mehrere Dirigenten aus der alten Musik – Frans Brüggen, Philippe Herreweghe, Ton Koopman und so – anfingen, auch mit modernen orchestern zu arbeiten. und die hatten dann doch gerne Solisten, die auch ein bisschen aus dieser historisch-infor- mierten Richtung kamen. Insofern ist eigentlich das gegenteil dessen ein- getreten, was mir die orchesterleiter prophezeit hatten: ich bekam damals sogar mehr arbeit mit modernen orchestern als vorher, auch auf dem modernen Flügel! Und nicht nur damals, oder? Sie sind ja auch heute noch ein sehr gefragter Pianist in beiden Welten. Ja, ich spiele nach wie vor sehr viel, auch mit modernen orchestern. aber dann doch nur das frühromantische Repertoire, und eigentlich auch fast nur noch mit Dirigenten, die eben auch aus der alten Musik kommen. und das macht die Sache auch viel angenehmer. Ich würde keinen Mozart oder Beethoven mehr mit einem 90 jährigen russischen Dirigenten spielen wollen… (Lacht) Ja, das kann ich mir vorstellen! Und ich bin froh, das zu hören (lacht)! Aber Sie unterrichten ja auch in Basel, nicht an der Schola Cantorum, sondern moderne Pianisten an der Hochschule für Musik. Was sagen Sie Ihren Studenten da: sollen sie nur modernen Flügel spielen oder auch Fortepiano, sollen sie alle Tasteninstrumente lernen? Was ist heute der richtige Weg für junge Pianisten? naja, es gibt da natürlich eine sehr strikte Trennung zwischen der Musik- hochschule und der Schola Cantorum, wo ja wirklich nur alte Musik unterrichtet wird. Das ist zwar ein gebäude, aber es sind doch zwei ganz unterschiedliche Welten – die zu meinem großen Bedauern auch sehr wenig Kontakt untereinander haben. aber seit ich da hingekommen bin, vor etwa acht Jahren, hat die Hochschule doch zwei Fortepiani angeschafft, einen Walter-nachbau und einen graf-nachbau. und wenn meine Stu- denten also Klassik spielen, dann möchte ich, dass sie das auch auf dem Fortepiano ausprobieren, dass sie nicht nur die erfahrung auf demmoder- nen Flügel machen, sondern eben auch auf dem historischen Instrument. Wie schätzen Sie zurzeit die Situation mit den Instrumenten ein: wenn Sie irgendwo eingeladen werden einen Fortepianoabend zu spielen, ist es dann noch immer schwierig, einen entsprechenden Flügel beizubringen? nun, es gibt natürlich in Holland ein paar Leute, die ganz interessante und auch teilweise große Sammlungen besitzen und deren Instrumente man für Konzerte leicht mieten kann. In Deutschland gibt es auch einige, aber das Land ist natürlich größer: da ist Christoph Kern in der nähe von Freiburg, und wenn ich in diesem Teil Deutschlands Konzerte gebe, dann kommt er meistens mit einem seiner Instrumente. und wenn es mehr im osten ist, dann frage ich Paul Mcnulty, der inzwischen bei Prag lebt und also relativ leicht mit einem Instrument nach Dresden oder so kommen kann. aber es ist natürlich für Konzertveranstalter schon jeweils ein bis- schen ärgerlich, für so einen Hammerflügel bezahlen zu müssen –, denn die haben ja viel geld für einen großen Steinway ausgegeben und wollen dann natürlich auch gerne, dass der verwendet wird (lacht)…und außer- dem gibt es auch orte, an denen das Publikum nach wie vor einfach viel lieber einen modernen Flügel hört als ein Fortepiano. nach wie vor. Ich Ronald Brautigam Foto: Marco Borggreve

RkJQdWJsaXNoZXIy OTM2NTI=