Tage Alter Musik – Programmheft 2020

24 T age a LTeR M uSIK R egenSBuRg Konzert 4 hatte nun allerdings das glück, dass ich vor einigen Jahren mit meiner gesamtaufnahme der Beethovensonaten auf dem Fortepiano den Jahres- preis der Deutschen Schallplattenkritik bekam, und das machte es anschlie- ßend viel einfacher für meinen Manager, Klavierabende mit Fortepiano zu verkaufen. Und wie wird es in Zukunft bei Ihnen weitergehen? naja, in zwei Jahren gehe ich in Basel in Pension. Das heißt, ich habe nur noch eine Reihe von Studenten, die ich betreue – wie das so schön heißt – , bis sie ihr examen haben, die zwei Jahre werden es dann weniger Stu- denten sein, und dann höre ich mit dem unterrichten dort auf. es ist näm- lich auch nicht besonders angenehm, immer zwischen amsterdam und Basel zu pendeln. Das glaube ich! Ja, das Fliegen wird immer unangenehmer, und die Deutsche Bahn ist halt auch immer so ein bisschen eine…, wie soll ich sagen...: eine Schwachstelle… (Lacht). Ich hab das ein paarmal versucht, aber dann sitzt man plötzlich in Frankfurt und strandet dort, muss dort übernachten… – also, das war schwierig. Insofern freue ich mich schon darauf, dann mehr Zeit für mein normales Leben zu haben, ab und an ein bisschen zuhause zu sein. Heißt das auch, Sie wollen nicht bis zu Ihrem 96. Geburtstag ein brausendes Kon- zertleben über alle Kontinente führen? ach, ich spiele einfach weiter, solange es mir selbst Freude macht, solange ich das gefühl habe, dass es gut ist, was ich mache, und natürlich solange, wie mich Leute einladen, bei ihnen zu spielen. Denn davon hängt es natür- lich auch ab. aber es gibt einfach noch so viel zu tun, auch mit Michael Willens und der Kölner akademie, mit denen ich ja inzwischen sämtliche Klavierkon- zerte von Mozart und Beethoven eingespielt habe, gibt es noch so viele Pläne. Mendelssohn, Weber: das ist schon aufgenommen, aber noch nicht herausgekommen. und dann kommen Klavierkonzerte von Johann Wil- helm Wilms... – also ich werde noch nicht in Rente gehen, es ist noch zu viel zu tun. Zum glück! © Andrea Braun, mit freundlicher Genehmigung der Alte-Musik-Fachzeitschrift TOCCATA, Ausgabe Januar- Februar 2020 Herr Willens, sind Sie eigentlich ein Alte-Musik-Dirigent, würden Sie sich als solchen bezeichnen? nein. ein Teil meiner Interessen ist natürlich auf die alte Musik gerichtet, aber nicht alle. Ich habe zum Beispiel auch viel neue Musik dirigiert und auch moderne orchester. aber die Frage ist natürlich auch, was Sie genau mit alte Musik meinen: geht es rein um den historischen Begriff oder um die Herangehensweise? Ich meine mit Alter Musik hier speziell die historische Aufführungspraxis – egal in welcher Epoche. nach dieser Definition bin ich dann schon ein alte-Musik-Dirigent: ich mache zwar Musik aus vielen verschiedenen epochen, aber ich recher- chiere vorher immer sehr genau. Wir haben zum Beispiel kürzlich eine aufnahme mit Musik von Jacques offenbach gemacht, und auch da haben wir vorher über die Besetzung und die von offenbach verwendeten Instru- mente sehr genau recherchiert, und ich glaube, bis jetzt hat auch noch nie- mand so eine aufnahme gemacht, mit der richtigen Besetzung bei diesem großen orchester und auch den korrekten Instrumenten. und ähnlich habe ich natürlich im Vorfeld auch immer bei anderer Musik aus dem 19. und 20. Jahrhundert geforscht; also, ich denke, man kann schon sagen, dass ich historisch informiert dirigiere. Nun haben Sie in den USA Dirigieren studiert, unter anderem bei Leonard Bern- stein, der nun auch nicht gerade als Ikone der historischen Aufführungspraxis gilt, und zu einer Zeit, als Alte Musik dort noch gar keine Rolle spielte. Wie sind Sie vor diesem Hintergrund überhaupt dazu gekommen, sich näher mit den Umständen, Besetzungen, aufführungspraktischen Fragen der Stücke zu beschäftigen, die Sie dirigiert haben? Ich glaube, das kam durch meine Zeit an der Juilliard School, meine Studienzeit: dort gab es einen ensembleleiter, albert Fuller, der übrigens auch sehr viel Rameau auf dem Cembalo einge- spielt, und auch an der Juilliard ein ensemble gegründet hat. Damals war ich Kontrabassist und hatte vor allem Interesse, Bach und Händel, also die bekannten Sachen, zu spielen. aber dann kam ich in dieses ensemble und schon die erste Probe hat mir ein Stück weit die augen geöffnet: so an die Musik heranzugehen, das war ganz neu für mich! aber sehr, sehr interes- sant. und da hatte ich glück, denn ich glaube, damals gab es keinen anderen Kontrabassisten, der so etwas machen konnte, und danach hatte ich noch das glück, mit all diesen großen engli- schen Dirigenten arbeiten zu dürfen, nicholas Mcgegan, andrew Parrott, Pinnock, gardiner..., all diese Leute, und auch mit Reinhard goebel. Bei ihnen allen habe ich gespielt, in ihren orchestern oder ensembles, und viel gelernt. In dieser Zeit existierten vor allem in den uSa ja noch keine Studiengänge für alte Musik oder Interview mit Michael Alexander willens CD-Aufnahmen, Kölner Akademie, Michael Alexander Willens, Ronald Brautigam

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