Tage Alter Musik – Programmheft 2020

25 T age a LTeR M uSIK R egenSBuRg Konzert 4 Kurse, wie es sie heute beispielsweise an den Konservatorien und univer- sitäten gibt. nur diese eine Klasse an der Juilliard School, das war der erste formelle unterricht, den ich in dieser Richtung hatte. und dann war ich natürlich im Bach ensemble von Joshua Rifkin, habe viel mit ihm gespielt, aufgenommen und sehr viel von ihm gelernt: sowohl, was die aufführungspraxis betraf, als auch die Forschung, dass man in Bibliotheken gehen und nach Quellen suchen sollte und solche Dinge. Das war ein sehr wichtiger Teil meines Werdegangs. einige Jahre später verlegte ich mich dann aufs Dirigieren, habe dann Kurse gemacht, zum Beispiel eben auch diese Sommerkurse bei Bernstein, um wirklich Dirigieren zu lernen. und ich war sehr glücklich, mit einem Komponisten und Lehrer namens Jacques-Louis Monod arbeiten zu kön- nen, der Zeitgenosse von Pierre Boulez und mit ihm in der gleichen Kom- positionsklasse gewesen war. Bei ihm habe ich Komposition und Partitur- analyse studiert. auch das war eine wichtige erfahrung. ein weiterer, ganz entscheidender Punkt war schließlich, dass ich nach europa gezogen bin. ein grund dafür war das angebot, regelmäßig mit Musica antiqua Köln spielen zu dürfen, und der andere war persönlicher natur: ich hatte mich in eine deutsche Frau verliebt. Dann war die Frage, ob sie nach amerika zieht oder ob ich nach Deutschland komme, und da sie Stellen in einem orchester und an einer Schule hatte und die Chancen für sie, eine greencard in den uSa zu bekommen, ziemlich schlecht waren, kam ich eben nach europa. und ich muss sagen, ich hatte ohnehin schon immer Interesse daran gehabt, ganz nach europa zu ziehen, vor allem wegen der Musik. Ja, und so kam ich nach Köln, wo ich viel mit Reinhard goebel und seinem ensemble spielte, und da traf ich dann auch noch andere Musiker, die dann irgendwann die grundbesetzung meines eige- nen orchesters, der Kölner akademie, waren. Das war 1996, dass Sie die Kölner Akademie gegründet haben, oder? Ja, genau. allerdings seinerzeit noch als Orchester damals und heute , aber dieser name war einfach schwer zu verkaufen – besonders wenn er ins Französische oder englische oder so übersetzt werden musste. Insofern haben wir uns also dann in Kölner akademie umbenannt, denn das ist einfach und jeder versteht sofort, was gemeint ist: akademie ist ja ein alter ausdruck für ein Konzert. Da gefällt mir eben auch die historische Kon- notation. Nun gab es in Köln und auch anderswo in Deutschland seinerzeit ja schon einige Barockorchester: warum haben Sie noch eines gegründet? Mein musikalischer geschmack und meine Interessen gingen einfach in eine andere Richtung als die der anderen gruppen. natürlich spielen wir alle Barockmusik, wir spielen alle Klassik; aber ich wollte auch mehr in die Romantik gehen, auch zeitgenössische Musik mit einbeziehen. Darauf hatte sich ja auch der erste name des orchesters, Orchester damals und heute, bezogen: ich hatte als Kontrabassist sehr viel zeitgenössische Musik gespielt, aber auch viel alte Musik. In Köln lernte ich dann einige Leute kennen, bei denen das ähnlich aussah, und irgendwann wollten wir dann ein orchester haben, das beide Seiten des Spektrums abdecken sollte, gerne auch in ein und demselben Konzert. Wenn man sich nun Ihre Arbeit anschaut, sieht man: Sie machen eigentlich viel mehr Aufnahmen als Konzerte. Sie haben eine gigantische Diskografie, aber Sie treten gar nicht so oft auf. Wie kommt das? naja, ich würde schon gerne mehr Konzerte spielen, aber leider ist es in der heutigen Zeit gar nicht so leicht, auftrittsmöglichkeiten zu bekommen: es gibt immer weniger Festivals, die wirklich noch ernsthaft klassische Musik betreiben, die haben dann auch immer weniger geld, und wenn sie alte Musik machen, dann wollen sie nur die ganz großen namen. Nun beackern Sie ja schon rein historisch gesehen ein riesiges Repertoire, etwa 400 Jahre Musikgeschichte. Da steht man natürlich leicht in dem Ruche, alles ein bisschen, aber nichts richtig zu machen. Was sagen Sie, wenn Sie jemand mit die- sem Verdacht konfrontiert? Ich sage: hör dir‘s an! Jeder kann ja selbst entscheiden, ob er das dann gut findet. und unsere CDs haben ja alle ziemlich gute Kritiken bekommen – egal, ob das nun offenbach oder frühes 17. Jahrhundert war. Ich bin ja inzwischen auch recht bekannt dafür, immer wieder unbekannte Stücke auszugraben und aufzunehmen, und ich glaube, dafür ist auch das orches- ter berühmt: dass wir alljährlich an Weihnachten und an ostern jeweils ein neues Stück herausbringen, dessen Komponisten man oft auch über- haupt nicht kennt. Zum Beispiel Kantaten von Cherubini, die nie jemand gespielt hatte, obwohl Cherubini ja noch eher zu den bekannten Komponisten zählt. oder Musik von JohannWenzel Kalliwoda, der vielleicht eher zu den unbekannten zählt. CD-Aufnahmen, Kölner Akademie, Michael Alexander Willens, Ronald Brautigam

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