Tage Alter Musik – Programmheft 2020

33 T age a LTeR M uSIK R egenSBuRg Konzert 6 als Bach die drei heute erklingenden Kantaten 1733–34 komponierte, war er seit zehn Jahren Thomas-Kantor und Musikdirektor in der universi- täts- und Handelsstadt Leipzig. Zu seinen kirchlichen Dienstverpflichtun- gen gehörte die aufführung von etwa 60 Kantaten pro Jahr. auch wenn der Schwerpunkt seines Kantatenschaffens im geistlichen Bereich lag, ist eine größere Zahl an weltlichen Kantaten überliefert, zu denen so launige Werke wie die „Kaffeekantate“ und die „Bauernkantate“ gehören. Die meisten weltlichen Kantaten sind allerdings als Huldigungswerke für Herrscherhäuser entstanden, insbesondere für die Mitglieder der kurfürst- lich-sächsischen und königlich-polnischen Familie in Dresden, die mit ca. 15 Kantaten bedacht wurde. Zu diesen gehören auch die drei Kantaten des heutigen Konzerts: zwei glückwunschkantaten zu den geburtstagen des Kurprinzen Friedrich Christian und der Kurfürstin Maria Josepha sowie eine gratulationskantate zum Jahrestag der Wahl des Kurfürsten Friedrich august II. zum König august III. von Polen. Bach verfolgte mit diesen musikalischen gaben ganz klare berufliche Kar- riereziele. um seine Stellung in Leipzig aufzuwerten, ersuchte er bereits im Juli 1733 in Dresden um den Titel eines „kurfürstlich sächsischen Hof- compositeurs“, wozu er demHof das Kyrie und das gloria der später voll- endeten h-Moll-Messe BWV 232 überreichte. Das erstrebte Prädikat wurde Bach allerdings erst 1736 zuteil. Mit der Komposition der Huldigungskan- taten versuchte Bach sich und seinanliegen amHof immer wieder in erin- nerung zu bringen. Zur aufführung solcher Werke stand in Leipzig das studentische Colle- gium musicum zur Verfügung, das 1702 von georg Philipp Telemann gegründet worden war und 1729 von Bach übernommen wurde. Die Kon- zerte fanden im Zimmermannschen Kaffeehaus oder im zugehörigen Kaf- feegarten statt und eröffneten Bach die Möglichkeit, mit den besten Instru- mentalisten der Stadt zu musizieren. auch die beiden geburtstagskantaten im heutigen Programmwurden dort erstmals aufgeführt. allerdings waren die beiden adressaten, der Kurprinz und die Kurfürstin, jeweils nicht per- sönlich anwesend, doch das war auch nicht zu erwarten. Sowohl die beiden geburtstagskantaten als auch die gratulationskantate für den sächsischen Kurfürsten und polnischen König werden von Bach als „Dramma per musica“ bezeichnet, was prinzipiell auf eine Verwandt- schaft mit der opera seria verweist. eine tatsächlich dramatische Konzep- tion hat allerdings nur eine der drei: die glückwunschkantate Herkules auf dem Scheidewege bwV 213 , die am 5. September 1733 zum elften geburtstag des Kurprinzen Friedrich Christian erklang. Wohl gerade weil der enkel augusts des Starken ein von geburt an schwächliches Kind war, fiel die Stoffwahl für das von Christian Friedrich Henrici (alias Picander) verfasste Libretto auf eine der Sagen des mythischen Helden, die dazu angetan ist, das Kind als tugendhaftes Vorbild zu verherrlichen. Zwischen zwei Chorsätzen, dem „Rathschluss der götter“ zur eröff- nung und dem „Chor der Musen“ am ende wird Herkules (alt) im steten Wechsel von Rezitativen und arien vor die entscheidung gestellt, entweder der Tugend (Tenor) oder der Wollust (Sopran) zu folgen, die in arien und einem dialogisierenden Rezitativ für sich werben. um Rat befragt Herkules das echo, das natürlich stets die richtigen antworten repetiert, die der junge Held aus eigener ein- sicht vorspricht. Damit ist die Situ- ation schnell geklärt und die ent- scheidung getroffen: Herkules wendet sich in den nachfolgenden nummern vehement von der Wollust ab, die auch gar nicht mehr zu Wort kommt, und der Tugend in zuneh- mender Innigkeit zu, was in ein sinnliches Liebesduett mündet. Merkur (Bass), der als Symbolfigur der Leipziger Handelsstadt die Bühne betritt, und ein Chor der Musen stellen abschließend in der sog. Licenza die Ver- bindung zwischen dem tugendhaften mythischen Helden und dem zu huldigenden Prinzen her. Während hier ganz deutlich auf Konventionen der zeitgenössischen oper zurückgegriffen wird, fehlt dem Dramma per musica Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten! bwV 214 solch dramatische Konzeption völlig. anlass der Komposition war der 34. geburtstag der aus demHause Habs- burg stammenden Kurfürstin Maria Josepha am 8. Dezember 1733. Zwar gibt es auch in dieser Kantate Rollen, die allegorische Figur Irene (Tenor) und die drei göttinnen Bellona (Sopran), Pallas (alt) und Fama (Bass), doch treten diese nach Irenes aufruf, freudig zu feiern, unverbunden nach- einander als Stellvertreterinnen des Krieges, der Beschützerin von Wis- senschaft und Kunst sowie des Ruhmes auf. Sehr reizvoll ist die Instru- mentierung der arie der Bellona „Blast die wohlgegriffnen Flöten, dass Feind, Lilien und Mond erröten“ mit zwei kunstvoll mit dem gesang ver- wobenen Traversflöten ebenso wie die gestaltung des in das Weihnacht- soratorium eingegangenen eingangschores „Tönet, ihr Pauken! erschallet Trompeten! Klingende Saiten, erfüllet die Luft“, in dem die genannten Instrumente in dieser Reihenfolge einsetzen, bevor sich der Chor zu „Sin- get itzt Lieder“ in einem eindrucksvollen Fugato präsentiert. Den Schluss der Kantate bildet ein abwechslungsreich strukturierter Jubelchor im Wechsel mit Instrumentalsätzen, dem kurze Soloauftritte der Irene, der Bellona und der Pallas vorangehen. Weit mehr aufsehen als die beiden geburtstagskantaten erregte die glück- wunschkantate Preise dein Glücke, gesegnetes Sachsen bwV 215 zum Jah- restag der Königswahl augusts III. am 5. oktober 1734, die denadressaten ausnahmsweise einmal persönlich erreichte. eigentlich hatte Bach eine aufführung der geburtstagskantate Schleicht, spielende Wellen BWV 206 auf den Kurfürsten für den 7. oktober mit dem Collegium musicum im üblichen Rahmen geplant. als sich das Herrscherpaar überraschender- weise zu einem Besuch vom 2. bis 6. oktober ankündigte, disponierte Bach schnell um und komponierte, organisierte und probte das festliche Hul- digungswerk innerhalb von nur drei Tagen. auch dieses Dramma per musica ist nicht dramatisch konzipiert: Der von Johann Christoph Cauder verfasste Text thematisiert die politischen und kriegerischen ereignisse, die im Zusammenhang mit der Wahl stehen, und spricht dabei den Mon- Solomon’s Knot Vokalisten & Instrumentalisten Foto: Gerard Collett

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