Tage Alter Musik – Programmheft 2020

34 T age a LTeR M uSIK R egenSBuRg Konzert 6 archen in seinem Lob- preis direkt an. aufge- führt wurde die Kan- tate bei einer öffent- lichen abendmusik vor dem apelischen Haus an der Südseite des Marktes, der ein Fackelzug voraus- ging. ein lebendiges Bild von der fest- lichen Veranstaltung verdanken wir dem Stadtchronisten Salo- mon Riemer: „gegen 9. uhr abends brachten Ihro Maj[estä]t die allhiesi- gen Studirenden eine allerunterthänigste abend Music mit Trompeten und Pau- ken, so Hr. Capell Meister Joh. Sebastian Bach Cant. zu St. Thom[as]. componi- ret. Wobey 600. Stu- denten lauter Wachs Fackeln trugen […]. Der Zug geschahe [… ] bis ans Königs Logis, als die Music an der Wage angelanget, giengen auf derselben Trompeten und Pauken, wie den auch solches vom Rath Hause, durch ein Chor geschahe. […] nachgehends sind Ihro Königl. Majestät nebst Dero Königl. Frau gemahlin u. Königl. Printzen, so lange die Music gedauret, nicht vom Fenster weggegangen, sondern haben sol- che gnädigst angehöret, und Ihr. Majestät hertzlich wohlgefallen.“ Zu den schwer zu verschmerzenden Wermutstropfen dieses offenbar sehr gelungenen events gehörte für Bach der tragische Tod des Stadtpfeifers gottfried Reiche, dem angeblich die großen Strapazen und der Fackelrauch so zugesetzt haben sollen, dass er am nächsten Tag verstarb. Bach hatte viele Jahre mit dem berühmten Clarinbläser zusammengearbeitet. Was haben nun diese drei weltlichen Kantaten aus den Jahren 1733/34 mit Weihnachten zu tun – warum kommen uns einige nummern so bekannt vor? Die ein- fache erklärung ist, dass Bach in großem umfang Musik aus den drei weltlichen Kantaten im sog. Parodieverfahren bei der Komposition der sechs Kantaten des Weihnachtsoratori- ums BWV 248 wiederverwertete, die an den drei Weihn- achtsfeiertagen 1734, am neujahrstag 1735 sowie am nachfolgen- den Sonntag und am Dreikönigstag erklan- gen. er übertrug also Musik aus dem welt- lichen Kontext in den geistlichen mit ent- sprechend neuer Textunterlegung. So gingen alle Chöre, arien und das Duett aus Herkules auf dem Scheidewege in die ersten vier Teile des Weihnachtsoratoriums ein und (mit ausnahme der ersten arie) auch alle Chöre und arien aus Tönet, ihr Pauken! erschallet, Trompeten! in die ersten drei Teile, wobei die beiden Chöre aus dieser Kantate im Weihn- achtsoratorium eine herausragende Stellung als eingangschöre des ersten und dritten Teils einnehmen. Deutlich geringer ist dagegen der Beitrag aus der glückwunschkantate Preise dein glücke, gesegnetes Sachsen, aus der nur eine arie in den fünften Teil des Weihnachtsoratoriums über- nommen wurde. auch wenn man Bachs Vertonung der Weihnachtsgeschichte nicht zuletzt aufgrund des geschickten arrangements und der hohen kompositori- schen Qualität seiner Sätze als völlig überzeugend empfindet, erschließen sich einige musikalische Details nur aus den Libretti der Parodievorlagen. exemplarisch sei nochmals auf den eingangschor „Tönet, ihr Pauken!“ verwiesen, der zum Text „Jauchzet, frohlocket!“ die jubelnde Weihn- achtsstimmung zu Beginn des oratoriums zwar sehr wirkungsvoll zum Klingen bringt, die oben beschriebene einsatzfolge von Pauken, Trom- peten, Streichern und Chor aber nicht so sinnfällig vermittelt wie der originaltext aus der glückwunschkantate. Die musikalischen Querverbindungen des heutigen Konzerts reichen noch weiter, auch zeitlich zurück, denn Teile der heute erklingenden Kantaten haben ebenfalls eine „Vergangenheit“ in älteren Vorlagen. So entstammt etwa der „Chor der Musen“ der Herkules-Kantate wiederum einer glückwunschkantate aus Bachs lange zurückliegender Köthener Zeit, und der prächtige doppelchörige eingangschor aus der unter so hohem Zeitdruck entstandenen Kantate Preise dein glücke, gesegnetes Sachsen kommt mit größter Wahrscheinlichkeit aus der verschollenen Huldigungskantate es lebe der König, der Vater im Lande BWV anh. 11 zum namenstag augusts des Starken, also des Vaters des gepriesenen Kurfürsten, ein Werk, das zwei Jahre zuvor in abwesen- heit des Hofes aufgeführt worden war. Bach-Forschung ist also eine reiz- volle Detektivarbeit mit herrlichen erkenntnissen, die wir heute mit Herz und Verstand erfassen und erleben dürfen. © Michael Wackerbauer, UR Gerard Dou / Gerrit Dou (1613-1675): Der Trompeter; im Hintergrund ein Fest CD: Solomon’s Knot – Magnificat – Bach – Kuhnau – Schelle Louis de Silvestre (1675-1760): August III., Kurfürst von Sachsen und König von Polen Gottfried Reiche (1667-1734), Porträt von Elias Gottlob Haußmann, 1726 Das ereignis der uraufführung der Huldi- gungskantate „Preise dein glücke, gesegne- tes Sachsen“ wird auch vom Chronisten der Stadt Leipzig mit dem Tod des bedeutenden Trompetensolisten gottfried Reiche in Ver- bindung gebracht, der am Tag nach den Feierlichkeiten auf der Straße zusammen- brach, was seine Zeitgenossen auf „des Bla- sens große strapazzen“ am Vortage „bey der Königlichen Musique“ zurückführten.

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