Tage Alter Musik – Programmheft 2021

35 T AGe A LTeR M uSIK R eGenSBuRG Konzert 5 zert diskutierten sie über die Musik, die sie eben gehört hatten. Ver- glichen sie sie mit den entsprechenden Werken Johann Sebastians, von denen bekannt ist, dass sie ebenfalls unter diesen umständen gespielt wurden? Denn es ist klar, dass das erste, was uns bei der entdeckung dieser Kom- positionen einfällt, ein Vergleich mit den rein zufällig auch vier entspre- chenden Werken Johann Sebastians ist. Wann wurden sie geschrieben? Vor denen, die Johann Sebastian zwischen 1717 und 1723 für den Hof von Köthen komponierte (das dritte stammt übrigens aus dem Jahre 1716, also vom ende seiner Weimarer Zeit)? Zwar finden sich frappierende Ähnlich- keiten, doch genügt es, entsprechende (zu Dutzenden vorhandene) Werke aus den Federn von Telemann oder Graupner heranzuziehen, um sich bewusst zu werden, dass die Kompositionen von Johann Bernhard einer Form nahekommen, die in dieser Zeit eben sehr gängig war. Diese „Ouvertüren” (die Bezeichnung „Suite” wird in Deutschland nie zur Bezeichnung dieser Art von Musik verwendet) sind typische Schöp- fungen der deutschen Musik, die nach charakteristischen elementen der französischen Musik komponiert wurden. Abgesehen von einigen ele- menten, die man in den „Symphonies pour les Soupers du Roi“ von Michel-Richard Delalande antrifft, findet man nichts entsprechendes in der französischen Musik. Der erste Satz, eine „Ouvertüre” mit einer Struktur, wie sie in Lullys „Tragédies en musique“ vorkommt, verleiht der Komposition ihren Titel. Sie besteht aus zwei Abschnitten. Der erste in majestätischem Tempo und binärem Rhythmus ist durch die Verwen- dung punktierter Rhythmen charakterisiert. Der zweite im ternären Rhythmus ist schnell und fugiert. Dieser zweite Teil endet mit einer recht kurzen Rückkehr zu den Merkmalen des ersten Abschnitts (langsam, binär, punktierte Rhythmen). Auf dieses einleitungsstück folgen mehrere kürzere, die verschiedenen Formen angehören. Wenn es Tänze sind, so handelt es sich keineswegs um die Anordnung der französischen Suiten (Allemande, Courante, Sarabande, Gigue), die Bach und seine Zeitge- nossen peinlich genau berücksichtigen, wenn sie (hauptsächlich für Cem- balo) Stücke schreiben, die sie „Suite“ nennen. Hier sind es vor allem Tänze (die Johann Sebastian Bach zum Beispiel zu einigen Suiten unter der Bezeichnung „Galanterien“ hinzufügt): Menuett, Gavotte, Passepied, Bourée, Canaries, Forlane usw. Gemäß einer recht neuen Praxis der fran- zösischen Musik (die bei den Kompositionen des beginnenden 18. Jhs, festzustellen ist) werden bestimmte Tänze paarweise und abwechselnd dargeboten. Das zweite Stück ist in einer anderen Tonart geschrieben (Dur oder Moll / Paralleltonart) und schlägt manchmal einen anderen Satz vor, d.h. den des „Trios“, wo keine Altstimme vorhanden ist und sich die Besetzung auf zwei Instrumente und Basso continuo beschränkt (was dem Orchester eine momentane Pause verschafft). neben diesen Tänzen gibt es auch Sätze, deren Titel einen Charakter oder ein Gefühl ausdrücken – was ebenfalls auf den einfluss der französischen Gepflo- genheiten des beginnenden 18. Jhs. zurückgeht: Les Plaisirs, Réjouissance, Joye ... oder ganz einfach Air . In Johann Bernhards Suiten scheinen selte- nere Titel wie Fanaisie oder Caprice auf. Da es sich für diese Komponisten selbstverständlich um französische Musik handelt, tragen alle Stücke Titel in französischer Sprache, die in Deutschland auch ein gewisser Aus- druck von eleganz bzw. von Aristokratie ist und somit von allem, was mit den Vergnügungen des Hofes zu tun hat. Die Ouvertüren von Johann Bernhard Bach sind für Streicherbesetzung geschrieben. Abgesehen von der Ouvertüre in D-Dur, ist die Angabe der Instrumentalstimmen für diese Zeit logisch: Violine 1 und II, Viola und Bass; im Fall der Ouvertüre in D-Dur werden die Instrumente gemäß der französischen Gepflogenheit des 17.Jhs. genannt: Dessus, Haute-contre, Taille und Basse, wobei das alte Schlüsselsystem verwendet wird, d.h. ein Sopranschlüssel für die Haute-contre-Stimme (die der Violine II ent- spricht). Für die Musiker von Achéron war die Versuchung groß, in gewisser Hin- sicht den Gepflogenheiten von Johann Sebastian in Bezug auf seine eigenen

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