Tage Alter Musik – Programmheft 2021

49 T AGe A LTeR M uSIK R eGenSBuRG Konzert 8 Sowohl die beiden Geburtstagskantaten als auch die Gratulationskantate für den sächsischen Kurfürsten und polnischen König werden von Bach als „Dramma per musica“ bezeichnet, was prinzipiell auf eine Verwandtschaft mit der Opera seria verweist. eine tatsächlich dramati- sche Konzeption hat allerdings nur eine der drei: die Glückwunschkantate Herkules auf dem Scheidewege BWV 213 , die am 5. September 1733 zum elften Geburtstag des Kurprinzen Friedrich Christian erklang. Wohl gerade weil der enkel Augusts des Starken ein von Geburt an schwächliches Kind war, fiel die Stoffwahl für das von Christian Friedrich Henrici (alias Picander) verfasste Libretto auf eine der Sagen des mythischen Helden, die dazu angetan ist, das Kind als tugendhaftes Vorbild zu verherr- lichen. Zwischen zwei Chorsätzen, dem „Rathschluss der Götter“ zur eröffnung und dem „Chor der Musen“ am ende wird Herkules (Alt) im steten Wechsel von Rezitativen und Arien vor die ent- scheidung gestellt, entweder der Tugend (Tenor) oder der Wollust (Sopran) zu folgen, die in Arien und einem dialogisierenden Rezitativ für sich werben. um Rat befragt Herkules das echo, das natürlich stets die richtigenAntworten repe- tiert, die der junge Held aus eigener einsicht vorspricht. Damit ist die Situation schnell geklärt und die entscheidung getroffen: Herku- les wendet sich in den nachfolgenden nummern vehement von der Wollust ab, die auch gar nicht mehr zu Wort kommt, und der Tugend in zunehmender Innigkeit zu, was in ein sinnliches Liebesduett mündet. Merkur (Bass), der als Symbolfigur der Leipziger Handelsstadt die Bühne betritt, und ein Chor der Musen stellen abschlie- ßend in der sog. Licenza die Verbindung zwischen dem tugendhaften mythischen Helden und dem zu huldigenden Prinzen her. Während hier ganz deutlich auf Konventionen der zeitgenössischen Oper zurückgegriffen wird, fehlt dem Dramma per musica Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten! BWV 214 solch dramatische Konzeption völlig. Anlass der Komposition war der 34. Geburtstag der aus demHause Habsburg stammenden Kur- fürstin Maria Josepha am 8. Dezember 1733. Zwar gibt es auch in dieser Kantate Rollen, die allegorische Figur Irene (Tenor) und die drei Göttinnen Bellona (Sopran), Pallas (Alt) und Fama (Bass), doch treten diese nach Irenes Auf- ruf, freudig zu feiern, unverbunden nacheinan- der als Stellvertreterinnen des Krieges, der Beschützerin von Wissenschaft und Kunst sowie des Ruhmes auf. Sehr reizvoll ist die Instrumen- tierung der Arie der Bellona „Blast die wohlge- griffnen Flöten, dass Feind, Lilien und Mond erröten“ mit zwei kunstvoll mit dem Gesang verwobenen Traversflöten ebenso wie die Gestaltung des in das Weihnachtsoratorium ein- gegangenen eingangschores „Tönet, ihr Pauken! erschallet Trompeten! Klingende Saiten, erfüllet die Luft“, in dem die genannten Instrumente in dieser Reihenfolge einsetzen, bevor sich der Chor zu „Singet itzt Lieder“ in einem eindrucks- vollen Fugato präsentiert. Den Schluss der Kan- tate bildet ein abwechslungsreich strukturierter Jubelchor im Wechsel mit Instrumentalsätzen, dem kurze Soloauftritte der Irene, der Bellona und der Pallas vorangehen. Weit mehr Aufsehen als die beiden Geburtstags- kantaten erregte die Glückwunschkantate Preise dein Glücke, gesegnetes Sachsen BWV 215 zum Jahrestag der Königswahl Augusts III. am 5. Okt- ober 1734, die den Adressaten ausnahmsweise einmal persönlich erreichte. eigentlich hatte Bach eine Aufführung der Geburtstagskantate Schleicht, spielende Wellen BWV 206 auf den Kur- fürsten für den 7. Oktober mit dem Collegium musicum im üblichen Rahmen geplant. Als sich das Herrscherpaar überraschenderweise zu einem Besuch vom 2. bis 6. Oktober ankündigte, disponierte Bach schnell um und komponierte, organisierte und probte das festliche Huldi- gungswerk innerhalb von nur drei Tagen. Auch dieses Dramma per musica ist nicht dramatisch konzipiert: Der von Johann Christoph Cauder verfasste Text thematisiert die politischen und kriegerischen ereignisse, die im Zusammenhang mit der Wahl stehen, und spricht dabei den Monarchen in seinem Lobpreis direkt an. Auf- geführt wurde die Kantate bei einer öffentlichen Abendmusik vor dem Apelischen Haus an der Südseite des Marktes, der ein Fackelzug voraus- ging. ein lebendiges Bild von der festlichen Ver- anstaltung verdanken wir dem Stadtchronisten Salomon Riemer: „Gegen 9. uhr Abends brachten Ihro Maj[estä]t die allhiesigen Studirenden eine allerunterthä- nigste Abend Music mit Trompeten und Pau- ken, so Hr. Capell Meister Joh. Sebastian Bach Cant. zu St. Thom[as]. componiret. Wobey 600. Studenten lauter Wachs Fackeln trugen […]. Der Zug geschahe […] bis ans Königs Logis, als die Music an der Wage angelanget, giengen auf derselben Trompeten und Pauken, wie den auch solches vom Rath Hause, durch ein Chor geschahe. […] nachgehends sind Ihro Königl. Majestät nebst Dero Königl. Frau Gemahlin u. Königl. Printzen, so lange die Music gedauret, nicht vom Fen- ster weggegangen, sondern haben solche gnädigst angehöret, und Ihr. Majestät hertzlich wohlgefallen.“ Zu den schwer zu verschmerzenden Wermuts- tropfen dieses offenbar sehr gelungenen events gehörte für Bach der tragische Tod des Stadtpfei- fers Gottfried Reiche, dem angeblich die großen Strapazen und der Fackelrauch so zugesetzt haben sollen, dass er am nächsten Tag verstarb. Bach hatte viele Jahre mit dem berühmten Cla- rinbläser zusammengearbeitet. Was haben nun diese drei weltlichen Kantaten aus den Jahren 1733/34 mit Weihnachten zu tun – warum kommen uns einige nummern so bekannt vor? Die einfache erklärung ist, dass Bach in großem umfang Musik aus den drei weltlichen Kantaten im sog. Parodieverfahren bei der Komposition der sechs Kantaten des Weihnachtsoratoriums BWV 248 wiederverwer- tete, die an den drei Weihnachtsfeiertagen 1734, am neujahrstag 1735 sowie am nachfolgenden Sonntag und am Dreikönigstag erklangen. er übertrug also Musik aus demweltlichen Kontext in den geistlichen mit entsprechend neuer Tex- tunterlegung. So gingen alle Chöre, Arien und Louis de Silvestre (1675-1760): August III., Kurfürst von Sachsen und König von Polen Gottfried Reiche (1667-1734), Porträt von Elias Gottlob Haußmann, 1726 Das ereignis der uraufführung der Huldi- gungskantate „Preise dein Glücke, gesegne- tes Sachsen“ wird auch vom Chronisten der Stadt Leipzig mit dem Tod des bedeutenden Trompetensolisten Gottfried Reiche in Ver- bindung gebracht, der am Tag nach den Feierlichkeiten auf der Straße zusammen- brach, was seine Zeitgenossen auf „des Bla- sens große strapazzen“ am Vortage „bey der Königlichen Musique“ zurückführten.

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