Tage Alter Musik – Programmheft 2021

65 T AGe A LTeR M uSIK R eGenSBuRG Konzert 11 zum Programm: Dalla Porta d’oriente – das tor des ostens 1675 kehrte Antoine Galland, Orientalist, Reisender und Übersetzer der “Geschichten aus Tausendundeiner nacht” nach einer langen und aufre- genden Reise durch den mittleren Osten nach Paris zurück. einer der vie- len Schätze, die er von dort mitbrachte, war das mysteriöse und unbezahl- bare Manuskript aus Konstantinopel, das sich heute in der Sammlung der Bibliothèque national de France unter dem eintrag „Ms Pbn Turc 292“ befindet. Dieser Mecmua, zusammengestellt von Ali ufki, Musiker am Hofe von Konstantinopel, ist ebenso faszinierend und vielfältig wie die Stadt selbst im 17. Jahrhundert und dient als Inspiration für das vorlie- gende Programm. Ali ufki wurde unter demnamen Wojciech Bobowski als Sohn einer ade- ligen Familie in Lemberg geboren, das damals zu Polen gehörte. Als junger Mann wurde Bobowski von Krimtartaren gefangen genommen und als Sklave nach Konstantinopel gebracht. Der Königshof kaufte ihn und er wurde Mitglied des ensembles des Serails, in dem er sang und Santur spielte. er konvertierte zum Islam und nahm den namen Ali ufki an oder auch ufuki „der von jenseits des Horizontes stammt“, eine poetische umschreibung seiner fremden Wurzeln. Ausgestattet mit außergewöhnlichem Talent und großer neugier, verkör- perte Ali ufki beide Kulturen – die osmanische wie auch die europäische – und er machte dies sich und anderen zu nutze: Beständig wechselte er zwischen beiden Welten und half anderen dabei dasselbe zu tun. nachdem er seine Freiheit erlangt hatte, arbeitete Ali ufki als Dolmetscher für die osmanische Staatskanzlei und als Übersetzer, Lehrer und kultureller Ver- mittler für europäische Reisende und Diplomaten, denen er einzigartige einblicke in die türkische Kultur bot. es heißt, er habe achtzehn Sprachen gesprochen. Zudem war er ein überaus aktiver Schriftsteller. Seine Über- setzung der Bibel ins Türkische und seine ungemein beliebte Abhandlung, in der er den Islam für europäische Leser erklärt, sind einige Beispiele für seine Fähigkeit, zwischen den beiden Kulturen und Religionen zu vermit- teln. Als Ali ufki im Topkapi Palast ankam, wurde er Teil einer kulturell viel- fältigenWelt. Osmanische Musik baute auf der reichen Tradition persischer Musik und Poesie auf, und die kriegerischen eroberungen hatte viele per- sische Musiker an den Hof gebracht. Die Hofkapelle war aus Palastsklaven, wie Ali ufki einer war, zusammengesetzt, die aus ganz europa stammten – und jeder brachte seine eigene musikalische Tradition und seine Melo- dien mit an den Hof. Ali ufki beschreibt in seinen Memoiren, dass z.B. ita- lienische Musik zu hören war, da ein gefangener italienischer Chorleiter dort arbeitete: “Sie, die Türken, kennen auch italienische Musik: Sultan Murat hatte von Piraten einen sehr kompetenten italienischen Chorleiter als Sklave geschenkt bekommen, der viele schöne canzonette und Stücke für Solo Stimme komponierte...” Ali ufkis notizbuch, in dem er alles aufschrieb, was er lernte und hörte, erlaubt uns einen einzigartigen einblick in das vibrierende musikalische universum, in dem er lebte, so direkt und lebendig, als wären wir direkt vor Ort. Seine eng beschriebenen Seiten sind voller Gedichte und Lieder mit einer erstaunlichen Bandbreite von Musikstilen und Kulturen. Osma- nische Musik wechselt mit persischen, italienischen, französischen und deutschen Kompositionen ab, traditionelle populäre Melodien stehen neben höfischen und geistlichen Liedern. Das Manuskript offenbart auch, wie sehr die italienische Sprache und Literatur Ali ufki am Herzen lag, da er viele italienische Schriften und Gedichte kopiert und sogar seine per- sönlichen notizen auf italienisch aufgeschrieben hat. Besonders fällt ins Auge, dass er mehrere episoden aus „La Gerusalemme liberata“ (Das befreite Jerusalem) kopiert hatte, einem epischen Gedicht von Torquato Tasso, das von dem ersten Kreuzzug berichtet, in dem Jerusalem von sara- zenischer Herrschaft zurückerobert wurde. Das Gedicht dreht sich um die Gegensätzlichkeiten von Ost und West, Islam und Christentum, und fasst damit die beiden Seiten von Ali ufkis eigener kultureller Identität zusam- men, so dass es eine große persönliche Bedeutung für ihn gehabt haben muss. Das heutige Programmmöchte zeigen, wie variantenreich das Manuskript ist und mit welcher Leichtigkeit Ali ufki zwischen den Kulturen und musikalischen Genres wechselte. es vereint Musik der osmanischen und persischen Tradition mit Liedern aus der italienischen Renaissance, wie sie vermutlich vom italienischen Chorleiter des Sultans aufgeführt wur- den. Zusammen ergeben sie eine variantenreiche erzählung “über den Krieg, das Leben und die Liebe, Leiden und die Distanz und andere ähn- liche Dinge…” – Worte, die einst Ali ufki selbst benutzte, als er die Gedichte beschrieb, die im Serail gesungen wurden. Der rote Faden in diesem Programm ist die Geschichte von Trancredi und Clorinda, eine der bewegensten Geschichten aus La Gerusalemme liberata. Sie findet sich in demMecmua von Ali ufki und wurde 1624 von Claudio Monteverdi in dem berühmten Combattimento di Tancredi e Clorinda musikalisch umgesetzt. erzählt wird die Geschichte des christlichen Ritters Tancredi, der in die muslimische Kämpferin Clorinda verliebt ist. In einem nächtlichen Kampf verwundet er seine Geliebte tödlich, da er sie in ihrer Rüstung nicht erkennt. eine Geschichte, in der die Gegensätze zugespitzt sind, in der die Liebe die religiösen Grenzen überwindet und der Krieg als trennende Macht dargestellt ist. Vor allem aber die entscheidende Fähigkeit, sein Gegenüber wirklich zu sehen und zu erkennen, ist ein Schlüsselthema dieses epos. Das Combattimento, aufgeteilt in drei Abschnitte, ist verwoben mit instru- mentalen türkischen Peşrev, Arien von Claudio Saracini und Barbara Strozzi, einem Sufi-Gesang, in dem Murat III. zum Gebet ruft, und tradi- tionellen Tarantellen aus Süditalien. unterschiedliche Genres und Tradi- tionen treffen in diesem Programm zusammen und sind in einzelnen Stü- cken sogar miteinander kombiniert. Der „Semai efrenci“, übersetzt auch „Sema’i im französischen oder europäischen Stil“ zum Beispiel, ist ein Instrumentalstück, das einen europäischen Tanz, nämlich eine Gigue, imi- tiert, während es gleichzeitig traditionelle osmanische elemente enthält: das erste Beispiel für die osmanische Rezeption europäischer Musikkultur. Im nächsten Jahr finden die Tage Alter Musik Regensburg zum 37. Mal statt. Bitte merken Sie sich den Termin vor: 3. bis 6. Juni 2022 Wir notieren gerne Ihr Interesse für das Festival 2022. tage Alter Musik regensburg Postfach 10 09 03 93009 Regensburg Tel. 0941/ 8979786 Fax: 0941/ 8979836 e-Mail: TageAlterMusik@t-online.de www.tagealtermusik-regensburg.de Siehe auch Seite 14 / 15 V orSCHAU t AGe A Lter M USIK 2022

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