Tage Alter Musik – Programmheft 2022

20 TAGe ALTeR MUSIK ReGenSBURG Konzert 3 diese „Orgelkantaten“ zur Förderung seines ältesten Sohnes, des damals sechzehnjährigen Wilhelm Friedemann, als Organist komponiert worden wären, kann nicht zutreffen, da Friedemann von Juli 1726 bis April 1727 in Merseburg bei Johann Gottlieb Graun Violine studierte. Möglicherweise liegt der Grund dafür in Dresden, wo Bach 1725 ein Orgelkonzert in der Sophienkirche auf der neuen Silbermann-Orgel gab. einem Zeitungsbericht zufolge hat er dort nicht nur Präludien gespielt, sondern sich auch in „diversen Concerten mit unterlauffender Doucen InstrumentalMusic“ hören lassen. Zwar ist nicht ganz klar, welche Werke Bach dort genau aufgeführt hat, doch ist es durchaus vorstellbar, dass er neben anderen Orgelwerken auch Orgelkonzerte oder zumindest einige frühere Versionen dieser Sinfonias mit obligater Orgel und Streichern zur Demonstration der Orgel spielte. In den Partituren der Kantaten von 1726, aus denen Bach dirigierte, sehen wir, dass er die obligaten Orgelstimmen direkt in den Chorton transponierte (d.h. einen Ganzton höher als der Kammerton für die Streicher), was mit großer Wahrscheinlichkeit darauf hindeutet, dass er selbst als Solist die Orgel spielte. Dem deutschen Bach-Spezialisten Christoph Wolff zufolge waren die Sinfonias aus den Kantaten BWV 169 und 49 ebenfalls für dieses Konzert in Dresden gedacht. Obwohl wir nicht wissen, ob Bach diese Sinfonias oder zumindest einige von ihnen selbst zu eigenständigen Konzerten für Orgel mit Orchesterbegleitung zusammengeführt hat, ist es durchaus möglich, auf der Grundlage der oben genannten Kantaten und der entsprechenden Geigen- und Cembalokonzerte eine Reihe von hypothetischen Rekonstruktionen von dreisätzigen Konzerten für Orgel und Streicher vorzunehmen. Die Oboen, die die Geigen meistenteils verdoppeln, wurden in diesen Rekonstruktionen analog zu seinen Geigen- und Cembalokonzerten weggelassen. Konzert d-Moll nach bWV 146, 188 und 1052 Grundlage für dieses Konzert ist J. S. Bachs verlorengegangenes Violinkonzert in d-Moll. Die erste erhaltene Bearbeitung dieses verlorenen Werkes ist das Cembalokonzert BWV 1052a von C. P. e. Bach. Später überarbeitete J. S. Bach den ersten und zweiten Satz zur Sinfonia und zum Choral der Kantate BWV 146, und den dritten Satz zur Sinfonia der Kantate BWV 188, nun jeweils mit obligater Orgel. Von der letztgenannten Sinfonia sind nur die letzten Takte überliefert; diese wurden in unserer Rekonstruktion verwendet. Seine letzte Bearbeitung findet dieses Konzert in der Form des Cembalokonzerts BWV 1052. Präludium und Fuge G-Dur bWV 541 nachdem er unter den Fittichen seines Vaters aufgewachsen war, musste Wilhelm Friedemann, Bachs ältester Sohn, sein elternhaus verlassen. Die Unterrichtsstunden Johann Sebastian Bachs hatten ihr Ziel erreicht, da der junge Organist und Cembalist schon im Alter von 20 Jahren (um 1730) berühmt war. Offen war nur die Frage, welche Position er als Organist in den folgenden Jahren einnehmen würde. Obwohl er sich in Halberstadt keiner Vorspielprüfung unterzogen hatte, wurde ihm 1733 eine Stellung an der neuen Silbermann-Orgel in der Sophienkirche in Dresden in Aussicht gestellt. Sein Vater schrieb den Bewerbungsbrief auf dasselbe Blatt Papier, auf dem sich eine Kopie des BWV 541 befand. Das war kein Zufall, denn Präludium und Fuge bilden das ideale Vortragsstück: virtuos, frisch und kraftvoll von Anfang bis ende und insofern vollkommen im Trend der Zeit, d. h. im italienischen Stil. Friedemann absolvierte damit die Hörprobe und blieb mehr als zwölf Jahre in Dresden. ein wahres Feuerwerk im eröffnungssolo führt zu einem imposanten TuttiTeil, was an die Solokonzerte Vivaldis erinnert, eine Musik, die Bach genau kannte und inspirierend fand. Hören Sie zum Beispiel die wiederholten Akkorde und virtuosen Bassläufe in den Konzerten nach Vivaldi, BWV 593 und 972. Bachs Bezeichnung vivace lässt keinen Zweifel über das beabsichtigte Tempo, und das Präludium behält seine hektische Glut bis zu den letzten Takten. Bei seinen Fugenthemen hält sich Bach alle Möglichkeiten offen, zum Beispiel durch allmähliche Steigerung der Anzahl dissonanter Intervalle im Laufe des Stückes. Die harmonische Spannung erreicht ihren Höhepunkt mit einem ausgehaltenen Akkord kurz vor dem ende (der in dieser Aufführung mit einem kraftvollen Triller besonders durchdringend erklingt). Danach überschlagen sich die Reprisen der Themen wie bei einer Bergund Talfahrt in Richtung nicht eines, sondern zweier Orgelpunkte (Grundton) – zuerst als Überraschung in der Oberstimme und darauf im Bass. Sinfonia „Gott soll allein mein Herze haben“ nach bWV 169 Bei der für den 18. Sonntag nach Trinitatis 1726 entstandenen Kantate BWV 169 entstammt die Sinfonia einem Konzert, das ursprünglich für ein Holzblasinstrument gedacht war. Man geht davon aus, dass diese Sinfonia auch im Rahmen von Bachs Orgelkonzert 1725 in Dresden erklang. Sinfonia „Ich steh mit einem Fuß im Grabe“ nach bWV 156 Die Sinfonia der Kantate „Ich steh mit einem Fuß im Grabe“ BWV 156 für Oboe und Streicher entstammt ursprünglich dem Mittelsatz eines verlorengegangenen Oboenkonzerts, den Bach später in seinem Cembalokonzert BWV 1056 wiederverwendete. eine Ausführung an der Orgel ist nicht unüblich, da Bach oft ein Melodieinstrument durch die Orgel ersetzt hat oder umgekehrt, wie z.B. in der Arie aus der Kantate BWV 172/5 für Sopran und Alt, deren Solo für Oboe d’amore der Komponist in einer späteren Aufführung auf die Orgel übertrug. Sinfonia „Die elenden sollen essen” nach bWV 75 In der Sinfonia der Kantate „Die elenden sollen essen“ BWV 75 spielt die Tromba (naturtrompete) die Choralmelodie „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ über einer fugierten Begleitung durch Streicher. Bach liebte es aber auch, Choralmelodien durch die Orgel spielen zu lassen. So ersetzte er beispielsweise in der Kantate BWV 73/1 das Horn, das die Choralmelodie spielt, in einer späteren Bearbeitung durch die Orgel. In gleicher Weise wird in unserer Rekonstruktion die Tromba durch die Orgel ersetzt, so dass diese Sinfonia sozusagen zu einem Choralvorspiel für Orgel wird, wobei der Choralmelodie imitative einwürfe des Orchesters vorausgehen. Johann Sebastian Bach, Porträt von Elias Gottlieb Haussmann, 1746

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