Tage Alter Musik – Programmheft 2022

befindet sich ein Inhaltsverzeichnis in Form einer schlichten Auflistung des je ersten Verses jedes Gedichts in alphabetischer Reihenfolge. Obgleich nichts eine besondere Beschaffenheit des Inhalts suggeriert, markiert der 1542 erschienene Druck eine bedeutsame Veränderung: Die von Komponisten zur Vertonung ausgewählten Texte in italienischer Sprache waren fortan vermehrt ernsteren Inhalts, während zuvor leichtere und kürzere Texte bevorzugt wurden. Viele dieser ernsteren Texte waren Sonette, die vor allem dem Canzoniere von Francesco Petrarca (1304–1374) entstammen. erst Mitte des 20. Jahrhunderts wurde eines der wegweisenden Merkmale von I madrigali entdeckt: Bernhard Meier konnte feststellen, dass die von Cipriano gewählte Anordnung der Stücke auf modalen Kriterien (von Modus 1 bis 8) beruht. Damit ist der Druck das früheste Beispiel für eine an den Modi orientierte Inhaltsstrukturierung (vgl. Tabelle 1). Cipriano scheint einer der ersten Komponisten gewesen zu sein, die es verstanden, die mit dem Modussystem verbundenen Konzepte, die ursprünglich im Hinblick auf einstimmigen Gesang erdacht wurden, auf mehrstimmige Musik anzuwenden. Das von ihm entworfene und in diesem Druck etablierte Modell übernahmen im restlichen Verlauf des Jahrhunderts auch andere Komponisten wie Palestrina und Lasso. es ist somit deutlich geworden, dass die Texte in dem 1542 erschienen Druck behutsam angeordnet und gleichsam die verwendeten Modi sorgfältig ausgesucht wurden. De Rore brachte nicht einfach eine zufällige Auswahl von Madrigalen, die er bereits zur Hand hatte, in eine nach Modi organisierte Reihenfolge. ebenso wenig erfolgte die Zuweisung eines Modus zu einem Text ohne die Berücksichtigung des größeren Kontexts. Anscheinend wählte er vielmehr bei der Vertonung der einzelnen Gedichte die dafür verwendeten Modi im Hinblick auf den für das ganze Buch gefassten Plan aus. Die 17 Gedichte (eine einleitende ballata und 16 Sonette) bilden zusammen mit ihrer musikalischen Umsetzung einen bisher nicht erkannten dichterischen und musikalischen Zyklus. Mithilfe seiner außergewöhnlich guten Beherrschung der italienischen Sprache und seinem tiefen Sinn für Poesie drückte De Rore durch den Bezug zumModussystem den spezifischen Gehalt der Texte aus. Die erste Hälfte des Zyklus (nr. 1–9) kann inhaltlich als Ausdruck von Liebes24 TAGe ALTeR MUSIK ReGenSBURG Konzert 4 Cipriano de Rore Bayerische Staatsbibliothek München, Mus.ms.B(1, fol. 149r Tabelle: Modale Anordnung von Cipriano de Rores I madrigali a cinque voci (Venedig, 1542) 1 Cantai mentre ch’i arsi del mio foco Giovanni Brevio 14-zeilige ballata 1 transponiert g2c2c3c3F3 G 2 Hor che ’l ciel et la terra e ’l vento tace Petrarca 164 Sonett 1 transponiert g2c2c3c3F3 G 3 Poggiand’al ciel coll’ali del desio Anonym Sonett 1 transponiert g2c2c3c3F3 G 4 Quand’io son tutto volto in quella parte Petrarca 18 Sonett 2 transponiert c1c3c4c4F4 GG 5 Solea lontana in sonno consolarme Petrarca 250 Sonett 2 transponiert c1c3c4c4F4 GG 6 Altiero sasso, lo cui gioco spira Francesco Maria Molza Sonett 3 - c1c3c4c4F4 e 7 Strane rupi, aspri monti, alte tremanti niccolò Amanio Sonett 3 - c1c3c4c4F4 e 8 La vita fuge et non s’arresta un’hora Petrarca 272 Sonett 3 - c1c3c4c4F4 e 9 Tu piangi et quella per chi fai tal pianto Antonio Tebaldeo Sonett 4 - c2c4c4F3F4 ee 10 Il mal mi preme et mi spaventa il peggio Petrarca 244 Sonett 5 g2c2c3c3F3 F 11 Per mezz’i boschi inhospiti et selvaggi Petrarca 176 Sonett 5 g2c2c3c3F3 F 12 Quanto più m’avicino al giorno estremo Petrarca 32 Sonett 6 c1c3c4c4F4 FF 13 Perseguendomi Amor al luogo usato Petrarca 110 Sonett 6 c1c3c4c4F4 FF 14 Chi vol veder quantunque pò natura Petrarca 248 Sonett 7 - g2c2c3c3F3 G 15 Quel sempre acerbo et honorato giorno Petrarca 157 Sonett 7 - g2c2c3c3F3 G 16 Far potess’io vendetta di colei Petrarca 256 Sonett 8 - c1c3c4c4F4 GG 17 Amor, che vedi ogni pensiero aperto Petrarca 163 Sonett 8 - c1c3c4c4F4 GG 18 Ben si conviene a voi Anonym 9-zeiliges Madrigal [1] g2c2c3c3F3 D 19 Hor che l’aria et la terra Anonym 11-zeiliges Madrigal [2 tr.] c1c3c4c4F4 GG 20 Da quei bei lumi ond’io sempre sospiro Giovanni Brevio 13-zeilige Ballata [3] - c1c3c4c4F4 e nr. erste zeile Dichter Form Modus tonal type (Vorzeichnung, Schlüssel & Finalis)

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