Tage Alter Musik – Programmheft 2022

42 TAGe ALTeR MUSIK ReGenSBURG Konzert 8 angestellter Maestro di Coro war für die Komposition von Messen, Vespern, Motetten und vokalen Gelegenheitswerken aller Art zuständig. Vivaldi selbst bekleidete zwar nie offiziell diesen Posten, war aber allem Anschein nach interimsmäßig mit entsprechenden Aufgaben betraut. nachdem 1713 Francesco Gasparini (1661–1727) diese Stellung verlassen hatte, blieb sie bis 1719 vakant und scheint teilweise mit Zusatzdiensten Vivaldis ausgefüllt worden zu sein. Unter den namentlich bekannten Oratorien Vivaldis ist Juditha triumphans das einzige, zu dem uns die Musik überliefert ist. es entstand 1716 und wurde im november des Jahres – wie der erhaltene Librettodruck zeigt – vollständig mit Kräften des Ospedale aufgeführt. Der Hintergrund der Komposition war ein konkret historischer: Seit 1714 stand die Republik Venedig in einem militärischen Konflikt mit dem Osmanischen Reich, der erst 1718 beigelegt werden sollte. Im Sommer 1716, als Giacomo Cassetti mit der Ausarbeitung eines Librettos beauftragt wurde, stand das seit Jahrhunderten venezianisch verwaltete Korfu unter türkischer Belagerung und harrte seiner entsatzung. Der biblische Stoff der kriegsentscheidenden Meucheltat Judiths war bewusst als Allegorie auf die Kriegssituation angelegt. Wie Cassetti in einemGedicht ausführte, das dem Librettodruck beigegeben war, stand Judith für die Adria (bzw. die venezianische Republik), ihre GefährtinAbra für den christlichen Glauben, die Stadt Bethulia und ihr Hohepriester Ozias für Kirche, einigkeit der Christenheit und Jungfrauenehre, Holofernes für den osmanischen Sultan, sein Diener Vagaus für den Heerführer seiner Truppen. Als Juditha triumphans imHerbst des Jahres aufgeführt wurde, war es Venedig bereits gelungen, die Belagerung abzuwehren, und das Oratoriumwurde zu einer Siegesfeier des venezianischen Triumphes. Judiths Arie „Veni, veni, me sequere fida“ ist von der finalen Befreiungstat noch ein gutes Stück entfernt. Die Titelheldin wendet sich hier zutraulich an ihre GefährtinAbra, der Klang des selten besetzten, klarinettenartigen Chalumeau spielt auf die Turteltaube („turtur“) an, die im Text genannt wird. „Armatae face et anguibus“ markiert wiederum das blutige Finale der Handlung: Der Holofernes-Diener Vagaus singt diese Rachearie, nachdem er entsetzt den enthaupteten Feldherrn entdeckt hat. Nisi dominus gehört zu den über 20 erhaltenen Psalmvertonungen Vivaldis. Psalm 126 (nach der Zählung der Vulgata) ist hier für Alt-Solo, Streicher und Generalbass gesetzt und wird in neun eigenständige Sätze untergliedert. Den Abschnitt „Cum dederit dilectis suis somnum“ (in einer Übersetzungsvariante Ursprung des geflügelten Wortes „Den Seinen gibt’s der Herr „Ercole su‘l Termodonte“, Titelseite des Librettos, Rom 1723

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