Tage Alter Musik – Programmheft 2022

55 TAGe ALTeR MUSIK ReGenSBURG Konzert 11 zum Programm: Meine begegnung mit Chiara Margarita Cozzolani Cozzolani verdient ebensolche Bewunderung wie ihre Zeitgenossen Cavalli, Strozzi, Sances und Benedetto Ferrari. Ihre Vesper-Vertonung ist ein wahres Meisterwerk, das auf seine entdeckung wartet: Ihre Beherrschung der Mehrchörigkeit, ihr feinfühliger einsatz von affetti und geistlicher Rhetorik reihen sie unter die bedeutendsten Komponisten der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein. Wir sind glücklich und stolz, mit diesemKonzert für ihre Musik werben zu können. Für dieses Programm haben wir eine Reihe von Sängern vereint, die auf diese Musik spezialisiert sind und die sowohl als Solisten als auch als Chorsänger auftreten. Die Vorbereitung konzentrierte sich auf Zweichörigkeit, den Raumklang, Überlegungen zur Rhetorik und die Auswahl von Solo-Motetten. Die Liturgie von Vespern basiert auf einer Anzahl von Psalmen, die für eine Votivandacht zusammengestellt werden. Für dieses Konzert entschieden wir uns für die Rekonstruktion einer marianischen Vesper. Die Allgegenwart der Jungfrau Maria in den Gottesdiensten norditaliens zeigt die regionale Bedeutung der Gegenreformation, und Chiara Margarita Cozzolani komponierte so viele Motetten zu ehren Marias, dass es uns schwerfiel, eine Auswahl unter all diesen Schätzen zu treffen. Die empfindsamkeit und Zartheit der Solostücke und Duette hält der feierlichen Hoheit der Psalmen die Waage. Wir entschieden uns auch dafür, unter diese Motetten für Maria eine dreistimmige Motette von Caterina Assandra Duo Seraphim einzufügen, deren machtvolle Schönheit uns bedauern lässt, dass heute nur noch so wenige Werke dieser Komponistin vorhanden sind. Wir hoffen, dass dieses Konzert dazu beitragen wird, den außerordentlichen künstlerischen Reichtum der Klöster Italiens im 17. Jahrhundert weithin bekanntzumachen und diesen herausragenden Komponistinnen wieder zu dem Ansehen zu verhelfen, dessen sie sich zeitlebens erfreuten. Autor: Emiliano Gonzalez Toro Psalmen und Motetten von Cozzolani Viele Jahrzehnte lang bis zum ende des 20. Jahrhunderts wurde die Musik der nonnen italienischer Klöster zwar registriert, aber nicht wirklich bekannt gemacht. Die Aufführung ihrer Werke, hauptsächlich der Mailänder Benediktinerschwester Chiara Margarita Cozzolani (1602-1677), findet tatsächlich erst eine Generation nach der ersten Welle der Wiederentdeckung und des Studiums dieses Repertoires statt. Obwohl zwischen 1640 und 1650 eine vierbändige Ausgabe der Kirchenmusik von Cozzolani erschien und eine Sammlung ihrer Psalmenvertonungen es in einer Version mit Violinbegleitung bis in die noch erhaltenen Musikbestände jesuitischer Priester und indigener Völker des 18. Jahrhunderts im heutigen Tiefland Boliviens schaffte, haben die Umstände ihres klösterlichen Lebens dem, was wir über sie herausfinden konnten, gewisse Grenzen gesetzt. Die äußeren Bedingungen sind bekannt: einige der größeren und reicheren nonnenklöster auf der italienischen Halbinsel waren zu dieser Zeit berühmt für die Qualität ihres musikalischen Schaffens. Allerdings wurden sie beinahe in jeder Stadt wegen ihrer Kontakte zu männlichen Musikern, ihrer Auftritte und ihres öffentlichen Ansehens von den Bischöfen zumindest mit Misstrauen beäugt. Doch ihre persönlichen Beziehungen zum Patriziat in Verbindung mit einer gewissen Lässigkeit auf Seiten ihrer männlichen Klostervorsteher erlaubten es ihnen, diese Musikkultur zu entfalten und in der Vorstellungskraft der Stadtbürger als himmlische Sängerinnen auf ihren Chor-emporen hinter den Trennwänden, die sie vom öffentlichen Kirchenraum abschirmten, zu fungieren. Cozzolanis eigenes Mutterhaus, Santa Radegonda, war darin keine Ausnahme. Heute steht an seiner Stelle, gegenüber der nordfassade des Mailänder Doms, ein Multiplex-Kino, doch vor seiner Auflösung im Jahr 1782 beherbergte das Kloster etwa 100 nonnen – Frauen, die sich als Mitglieder der Benediktinergemeinschaft von Montecassino betrachteten, dem reichsten und gebildetsten Zweig des Ordens. Drucke mit musikalischen Widmungen ihrer männlichen Kollegen für verschiedene Sängerinnen, die zur Zeit Cozzolanis in zwei Chöre mit insgesamt etwa 20 Stimmen sowie Streich- und Tasteninstrumente eingeteilt waren, datieren bis in die 1590er Jahre zurück. Die Komponistin selbst stammt aus einer Familie der oberen Mittelschicht von Mailand, und schon ihre ältere Schwester hatte in diesem Kloster ihr Ordensgelübde abgelegt. etwa um 1660 wurde Cozzolani zur Äbtissin des Klosters gewählt und geriet wegen des Skandals, den die Flucht einer der Sängerinnen verursacht hatte, vorübergehend in eine schwierige Lage. ein ereignis, bei dem wohl einige der Stücke dieses Konzerts zu hören waren, war am 25. Juni 1649 der Besuch der frisch gekrönten Königin von Spanien, Anna Maria von Österreich. Im Zuge der Veranstaltungen während des Aufenthalts der Königin in Mailand – einschließlich einer Aufführung der Oper Giasone von Francesco Cavalli – gestalteten die nonnen für sie die obligatorische Vesper, möglicherweise zu ehren des hier beheimateten Benediktiners Sankt Wilhelm von Vercelli. Wie aus den Vespern von Monteverdi bekannt, enthielt auch diese Andacht Psalmen (jeweils vier in Cozzolanis benediktinischem Stil) sowie ein Magnificat. Unsere drei Psalmen und das Hohelied vermitteln einen eindruck von der Festlichkeit dieser Liturgie am späten nachmittag. Cozzolanis achtstimmige Psalmen wurden ein Jahr später (1650) zusammen mit einigen Motetten in ihren Salmi a otto voci veröffentlicht. Emiliano Gonzalez Toro, Tenor & musikalische Leitung Foto: Michel novak

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