Tage Alter Musik – Programmheft 2024

Teufel schwanger ist. Die Heilige Jungfrau aber kommt der Äbtissin, von der man denken könnte, dass sie gesündigt hat, zu Hilfe, ohne sie zu verurteilen; sie ist, im gegensatz zu den klostergefährtinnen, weit davon entfernt, die arme Frau zu verdammen. Dies ist ein flüchtiger einblick in eine Welt der abgeschiedenheit, wo unterdrückung und eifersucht herrschen – ein bild fehlgeleiteter weiblicher gemeinschaft. Während der bischof als repräsentant männlicher kirchlicher Machtbefugnis sie, bloßgestellt von den anderen nonnen, verstoßen hätte, rettet die Jungfrau Maria den guten ruf der Äbtissin und das leben des kindes. Medée fu en amer veritable Der anonyme Verfasser dieses stücks aus dem Codes Chantilly verzerrt die gestalten legendärer liebhaber, um – wie ein hoher Herr aus der Vergangenheit, im grunde jedoch nur ein lächerlicher, armer Tropf – den Hochmut seiner Dame zu rügen. Der autor muss eine Version des Roman de Troie von benoît sainte-Maure (12. –13. Jahrhundert) verwendet haben. seit dem 12. Jahrhundert entwickelte sich mit der Verfeinerung der Moralvorstellungen, wie sie in der höfischen liebe besungen wurde, eine selbstquälerische reflexion über das Wesen der liebe. Von anfang an stand dabei der betrug imMittelpunkt wie bei der kurzlebigen beziehung zwischen Medea und Jason, der unglücklichen liebe von Paris und Helena und der unbeständigen am beispiel der briseis und ihrer beiden aufeinander folgenden Verehrer. Python, merveilleus serpent Wir hatten viel spaß, als wir Python auswählten, guillaume de Machauts „wunderbare schlange“, und lachten mit der Dame, die wie Melusine in eine schlange verwandelt wurde (hier aber mit sieben köpfen ausstaffiert wie das ungeheuer aus der apokalypse des Johannes) und den abgewiesenen Verehrer – ein kleiner seitenhieb auf die bereits erwähnte ballade Honte, paour – mit schmähungen überhäuft. Die Frau ein ungeheuer? ein Mann behauptet das hier und die Moralisten dieser Zeit schrieben das gleiche, obwohl einÄsthetik der grausamkeit, der gewalt und des spotts dem damaligen höfischen ideal entgegenstand. Die erzählung La fille du comte de Pontieu (Die Tochter des grafen von Pontieu) ist ein beispiel dafür wie auch einige der lais von Marie de France und rutebeufs La dame qui fit trois fois la tour de l´église (Die Dame, die dreimal um die kirche ging), der lakonisch mit dem satz endet: „Wenn eine Frau einen Dummkopf zum ehemann hat, macht sie mit ihm, was sie will.“ o crudel donna schließlich macht in einer anonymen ballade, von der wir nur eine strophe im Codex Chantilly besitzen, ein liebhaber die missgünstige Fortuna für all das unglück, das ihm zugestoßen ist, verantwortlich. in der antike göttin des schicksals, dreht Fortuna das rad, von dem das menschliche leben bestimmt wird, in völliger gleichgültigkeit gegenüber dem los eines jeden einzelnen. so oder so ähnlich waren die Vorstellungen im späten Mittelalter, als die christliche kirche die ehe als sakrament einführte. im kern drehten sich diese Vorstellungen um den weiblichen körper als sinnbild von Verderbnis und dem unauslöschlichen Zeichen der erbsünde. Die liebe, die die Dichter, ob in oc-, oïl-, oder sì-sprache – gemäß der einteilung Dantes in seiner abhandlung De vulgaria eloquentia (1303) – besingen, ist nur selten die, die Frauen empfunden Tage alTer Musik regensburg Mai 2024 70

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